Porto Seguro – Pra Sempre!

Seit bald 2000 Jahren beten Christen im Vaterunser: Denn Dein ist das Reich. Und die Kraft. Und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen. Nie und nirgends ist mir die Wahrhaftigkeit dieses Satz so klar geworden wie hier. Wer in Brasilien keine religiösen Anwandlungen bekommt, dessen Seele ist eh unwiederbringlich verloren.

Es ist einfach unfassbar. Ich kann es selbst gar nicht glauben. Ist das wirklich? Ist das wahr? Kann das sein? Bin ich im Paradies gelandet? Gibt es das hier auf Erden?

Ja. Gibt es. Jedenfalls annähernd.

Ich will niemanden bekehren oder missionieren. Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied. Ich will nur ein Bekenntnis abgeben.

Seit Kindheitstagen christlich geprägt, haben mich die Fragen rund um die Existenz Gottes, die Bibel und Jesus schon früh beschäftigt. Irgendwann war ich so weit, mich von der Amtskirche immer mehr zu entfernen, aus ihr auszutreten und gar die Existenz Gottes in Frage zu stellen. Jedenfalls die Vorstellung, dass Gott irgend so ein lieber Kerl ist, der nur das Beste für uns alle will und tut.

Das erschien mir angesichts der offensichtlichen Schlechtigkeit der Welt doch als reichlich naiv.

Erst vor rund sieben Jahren in Brasilien hat sich das wieder geändert. Als ich nämlich die Oma meiner Frau kennenlernte, die für sie die wahre Mutter ist, weil sie von ihr großgezogen wurde.

Diese Frau hat in ihrem Leben schwer arbeiten müssen, um sechs eigene und unzählige angenommene Kinder aufzuziehen. In großer Abgeschiedenheit, fern von allem Komfort.

Diese Frau steht sowas an fest im Glauben an Gott und Jesus Christus, dass es mir damals regelrecht die Sprache verschlug.

Aller noch so intellektueller Disput klatschte mit dem Kopf an die Wand, verfehlte den eigentlichen Punkt. Meine kritischen Argumente waren machtlos gegen diese erlebte und gelebte Kraft des Glaubens.

Ich fing an, mich intensiver auf die weit verbreitete Religiosität der Brasilianer einzulassen.

Und ich begann, wieder an die Wirksamkeit Gottes zu glauben. Nicht nur zu glauben. Nein, überzeugt von ihr zu sein. Weil sie hier in Brasilien so offensichtlich ist. Spätestens seit der Geburt meiner Tochter als extremes Frühchen glaube ich an Wunder und wage es nicht, die Kraft des Glaubens und die Existenz Gottes anzuzweifeln, ihn Judas gleich zu verleugnen.

(Mit der Amtskirche kann ich allerdings nach wie vor nichts anfangen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, habe ich zu ihren Vertretern kein Vertrauen.)

Nenne es Gott, nenne es Kraft, Buddha, Energy oder wie auch immer. All diese Worte und Begriffe zielen am Ende auf das Gleiche: Unsere Vorstellung des Absoluten, Perfekten, Erhabenen, Vollkommenen.

Gott lebe in Frankreich, hieß es lange. Doch das war nur der Gott der Luxus-Anbeter und des angeblichen savoir vivre.

Tatsächlich leibt und lebt Gott heute in Brasilien.

Er ist voller Güte, Gnade, Barmherzigkeit, Liebe und Herrlichkeit.

Vorgestern war wieder so ein Tag. Der Himmel strahlte im strahlendsten Blau. Die Sonne knallte mit aller Kraft, die ihr zur Verfügung stand. Und das ist weit mehr als das, was wir aus Europa kennen.

Ich fuhr nach getaner Arbeit mit dem Fahrrad zum Strand, zu meinem Lieblingsplatz hinter dem Tôa Tôa, wo es diesen leckeren, in Öl frittierten Fisch und eisgekühltes Bier gibt. Die Leute kennen mich schon. Ich genieße dort Vorzugsbehandlung, ohne dass ich sie in Anspruch nehmen würde.

Ein Platz, von dem aus man einen weiten 180-Grad-Blick bis zum Horizont und das Gefühl hat, sich just auf dem Mittelpunkt der Erde zu befinden.

Das ist überhaupt das Faszinierende hier: Egal wo am Strand Du stehen bleibst: Du drehst dich einmal um dich selbst und denkst, auf eben diesem Mittelpunkt zu stehen. All diese Mittelpunkte aneinandergereiht ergeben eine imaginäre Linie, gewissermaßen einen Äquator. Aber der ist weiter oben. Vielleicht muss ich da mal hin, nur um das Gefühl zu vergleichen. Ob es dort noch ausgeprägter ist.

Aber den Mittelpunkt der Erde den kann man ja sowieso egal wo justieren. Ich würde es genau hier tun und meinen Pflock einrammen. Schaut her: Hier ist er, der Mittelpunkt der Erde!

Das Meer hatte Ebbe. Eine Ebbe, die noch das übertraf, was ich bisher gesehen hatte. Auf dem offengelegten Sandboden sah man schon Algen. Man brauchte nicht weit hineinzugehen, um auf einen breiten Algengürtel zu stoßen, der sich schon aus der Ferne durch das dunkel gefärbte Wasser andeutete.

Ein optimaler Moment, um zu schnorcheln. Leider hatte ich keine Ausrüstung dafür und es war auch keine auf die Schnelle verfügbar.

Ich beneidete zwei junge Männer, die da offenbar besser vorbereitet und/oder informiert waren als ich und den Algengürtel entlangtauchten.

Dafür fand ich im Sand eine kleine Scheibe, die ich zunächst für eine gestrandete und ausgetrocknete Qualle hielt. Sie hatte eine blaugraue Farbe und eine fünfblättrige Blüte war in der Mitte aufgeprägt. Ich brachte mein Fundstück zum Fischstand und der Inhaber klärte mich darüber auf, dass dies eine estrela do mar, ein Seestern sei.

Ich bestellte meinen Fisch. Der Wirt bot mir Sardellen an, kross frittiert, zum selben Preis wie immer: Zehn Reais, nicht einmal vier Euro.

Was ich dann aufgetischt bekam, war ein Berg von kleinen frittierten Fischen, die man komplett von Kopf bis Flosse in den Mund stecken und zerkauen konnte. Ein Genuss!!

In meiner Blickrichtung setze sich ein brasilianisches Paar hin, mit einem größeren Sohn (etwa 14) und einem etwas zurückgebliebenen von zwei Jahren. Er war zu klein und schwach für sein Alter, konnte aber halbwegs sicher laufen.

Es war zu erkennen, dass die Familie nicht über viel Geld verfügte. Der Mann bestellte am Nachbarstand einen Teller mit Reis, Bohnen und Fleischspieß für alle vier.

Ich bot ihnen an, doch von meinem Fisch zu kosten. Der sei sehr lecker. Aber sie lehnten höflich ab. Sie wollten sich nicht die Blöße geben, sofort einzuwilligen und damit gierig oder bedürftig oder sonst wie zu wirken.

Aber ich schaffte diese Menge wirklich nicht. Der kleine Junge schaute mich an. Also versuchte ich es über ihn: Komm mal her. Hier ist leckerer kleiner Fisch. Willst Du mal probieren?

Er reagierte erst etwas schüchtern, aber seine Neugier war stärker. Also kam er und nahm den Fisch, den ich ihm reichte.

Ich nahm den ganzen Rest, der auf einem großen grünen Blatt serviert worden war, und brachte ihn an den Tisch der Familie und sagte, ich könne nicht mehr. Ich sei satt. Sie mögen doch bitte den Rest essen, es sei echt lecker.

Sie nahmen dankbar an. Und ließen es sich schmecken.

Alldieweil bemerkte ich, dass das Banana-Boat nicht (immer) zufällig seine Bahn über das Meer zog.

Es folgte nämlich zweimal jeweils einem Flugzeug, die vom Flughafen von Porto Seguro aus starten.

Wie ich schon mehrmals am Strand beobachtet habe, starten die Flieger über die Baumkante hinweg über das Meer und ziehen einen großen Bogen an der Küste entlang. Die Flieger, die Richtung São Paulo oder Rio de Janeiro oder Belo Horizonte oder Florianópolis oder Argentinien fliegen, biegen dann nach rechts ab und verschwinden irgendwann im Ungefähren.

Das Banana-Boat mit seinen 10-20 Personen zog die Flugbahn auf dem Meer nach, als würde es vom Flugzeug selbst an einer unsichtbaren langen Leine gezogen. Dann bogen die Flieger nach rechts ab und das Banana-Boat fuhr gerade weiter oder machte eine Kehre nach links zum Strand zurück.

Die Passagiere konnten somit rechter Hand den Flieger verschwinden sehen.

Was für ein Ausblick!

Schon aus der Ferne bekam ich Gänsehaut. Wie musste das erst für jemanden aussehen, der im Flieger einen Fensterplatz hatte? Die Leute, die links am Fenster sitzen, bekommen mehr zu sehen.

Sie schauen von oben auf das Strandleben zurück und dem einen oder anderen dürfte es das Herz brechen. Verdammt nochmal, wieso verlasse ich diesen Ort? Werde ich je wiederkommen?

Ja, ich werde! Auf jeden Fall! Immer und immer wieder, bis ich für immer bleibe…

Was für eine Vollkommenheit! Was für eine Schönheit! Was für eine Herrlicheit!

I’m in love.

With everybody. With everything. Because this world is wonderful and beautiful.

Porto Seguro – Pra Sempre! (Für immer!): Was für ein guter Werbeslogan. Ich werde ihn bei Gelegenheit den verantwortlichen Stellen mal vorschlagen.

In Paradise

 

2 Gedanken zu „Porto Seguro – Pra Sempre!“

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