Tag der Familie

Familie! – Das ist auch so ein Endlosthema, zu dem man ewig und drei Tage reden und schreiben könnte! Doch so sehr uns unsere Herkunft und unsere familiären Verhältnisse auch ein Leben lang prägen und begleiten, hat sich die Realität doch schon längst von unserem veralteten Familienkonzept verabschiedet. Der biologischen Familie wird viel zu viel Bedeutung beigemessen und Aufmerksamkeit geschenkt. Denn letztlich sorgen die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit nur für Frust und Unzufriedenheit. Nichts ist so enttäuschend wie nicht erfüllte Erwartungen. Möchte man glücklicher sein, muss man seine Erwartungshaltung zurückschrauben.

Das war überhaupt der beste Ratschlag, den mir mein langjährigster Freund und Wegbegleiter mal gab angesichts meines seelischen Leidens an meiner familiären Situation und enttäuschten Liebschaften: Enttäuschungen sind die Folge von falschen Erwartungen!

Mit meinen nun über 50 Lebensjahren würde ich dies auch als meine wichtigste Lebenslehre bezeichnen: Wer sich auf andere Menschen verlässt und erwartet oder geradezu verlangt, dass sich andere um einen kümmern oder dir Aufmerksamkeit schenken, der wird zwangsläufig auf die Nase fallen.

Ich erwarte nichts mehr von niemandem. Aber wenn mir gelegentlich  jemand über den Weg läuft, der mir kurz zur Hand gehen kann – wunderbar! Da freu ich mich. Und wenn nicht, mach ich’s halt alleine.

Mein eigener innerster Familienzirkel war von vornherein nicht dazu geeignet, mich zum Fan des Familienkonzeptes zu machen, da es zwischen meiner Mutter und meinem Vater krachend scheiterte, als ich fünf Jahre alt war. Zwischen den beiden wuchs kein Gras mehr, und meine drei Jahre ältere Schwester und ich litten sehr unter dieser Situation. Unsere Mutter lebte weit weg und durfte uns nur drei Wochen im Jahr sehen. Telefonate waren nicht erlaubt. Wir wurden daher zu fleißigen Briefeschreibern.

Mein Vater heiratete kurz darauf wieder, diesmal eine deutlich jüngere evangelische Pfarrerstochter, eine ehemalige Schülerin von ihm. Das ging sehr flott und sorgte für – äußerlich betrachtet – stabile Verhältnisse. Ich hatte damals keinerlei Vorbehalte gegenüber der neuen Frau, sie war jedoch noch ziemlich jung und unerfahren (hatte ihre Grundschullehramtsausbildung gerade abgeschlossen) und außerdem extrem verkopft. Im Gegensatz zu uns zerbrach sie sich offenbar regelrecht den Kopf darüber, wie sie optimal mit dieser verfahrenen, ungewohnten Situation aus pädagogischer Sicht umgehen sollte. Es waren die 70er Jahre. Da gab es noch keine Ratgeber zum Thema. Das war Neuland.

Emotional bekamen wir keine Bindung zur Stiefmutter hin. Sie war und blieb ein Fremdkörper, was aber eher an ihrem Defizit lag, körperliche Nähe zuzulassen und Wärme auszustrahlen. Selbst ihren eigenen beiden Kindern gegenüber, die sie bald darauf mit meinem Vater in die Familie einbrachte, konnte sie nicht die bedingungslose Liebe zeigen, die Mütter ausmachen. Sie war emotional gestört und litt vermutlich selbst am meisten darunter.

Für meinen Vater und seine neue Frau war das ziemlich praktisch, dass es meine Schwester und mich gab, um als Babysitter herzuhalten. Da sie gerne und oft ausgingen und mein Vater sich sowohl als Chor- und Orchesterleiter wie als Lokalpolitiker sehr engagierte, hatten meine Schwester und ich einen nicht unerheblichen Anteil an der Erziehung unserer kleineren Halbgeschwister.

Auch mit ihnen haben meine Schwester und ich keine tiefe emotionale Bindung aufbauen können. So lange wir zusammen lebten und aufwuchsen, hatten wir natürlich Gemeinsamkeiten. Aber sie waren doch ganz anders als meine Schwester und ich, schlugen mehr nach der großen Familie ihrer Mutter, während meine Schwester und ich eine immer stärker werdende emotionale Verbindung zur großen und weit verstreuten deutsch-deutschen Familie unserer Mutter entwickelten.

Wir saßen gewissermaßen zwischen allen Stühlen. So sehr uns die große und interessante und sehr gebildete Familie unserer Stiefmutter auch in ihren Kreis aufnahm, gehörten wir eben nicht 100-ig dazu. Die nach Außen gespielte und durchaus gewollte Toleranz und Akzeptanz zeigte immer mal wieder Risse. Auch im engsten Familienkreis wurden meine Schwester und ich nicht genauso behandelt wie die gemeinsamen Kinder aus der zweiten Ehe meines Vaters. Wir waren älter. Und wir waren anders.

Das ist für die Betroffenen natürlich durchaus traumatisch und man empfindet das als ungerecht, man fühl sich zerrissen und nicht vollwertig und wirklich akzeptiert.

Aber was hilft’s? Nichts. Es ist, wie es ist. Und so versuchte ich für meinen Teil zumindest, das Beste daraus zu machen.

Das war ein langer und mühevoller Weg. Aber meine Hartnäckigkeit und Standfestigkeit halfen mir über all diese Hindernisse hinweg, die mir das Leben in den Weg gelegt hatte.

Die Familie, in die ein jeder hineingeboren wird,  können wir uns nicht aussuchen. Die ist gegeben.

Und so sehr ein jeder Mensch, der sich fortpflanzt, vorher sehr gut und ernsthaft darüber nachdenken sollte, ob er/sie wirklich dazu geeignet ist und über die notwendigen Konditionen verfügt, ist es leider Tatsache, dass selbst unter vermeintlich optimalen Voraussetzungen die Familie in sehr vielen oder gar den meisten Fällen ein Griff ins Klo ist.

Man sollte das nicht überbewerten.

Zumal die Frage durchaus berechtigt ist, wer oder was uns beim Heranwachsen eigentlich mehr prägt: die Familie oder unsere Freunde und die Schule?

Rein familiär wurde meine Schwester meine wichtigste Bezugsperson und umgekehrt. Wir waren nur drei Jahre auseinander und gewissermaßen Leidensgenossen. Das hat uns zusammengeschweißt und legte die Basis für eine jahrzehntelange, geschwisterliche Freundschaft. (Was nichts daran ändert, dass wir charakterlich extrem unterschiedlich sind und mit den Jahren zunehmende Schwierigkeiten hatten, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen…)

Ich selbst bin verhältnismäßig spät Vater geworden. Da war ich schon 39 Jahre alt!

Ich hatte es eigentlich fast gar nicht mehr auf dem Schirm. Hatte zwar etliche Partnerschaften gehabt – die bis dahin Längste hatte immerhin fünf Jahre gedauert -, doch war nur eine Frau dabei gewesen, mit der ich am liebsten sofort Kinder gezeugt hätte. Sie und die Umstände stellten sich dann aber als komplizierter heraus als gedacht und so ging dieser Kelch Gott sei Dank an uns beiden vorüber.

Mein Leben war bestens. Ich hatte einen spannenden und gut bezahlten Job beim Fernsehen und konnte mit meiner Freizeit machen, was ich wollte. Ich entdeckte Brasilien und verbrachte von da an alle meine längeren Urlaube in diesem aufregenden Land.

Bei meinem dritten Besuch lernte ich in Ouro Preto eine junge Studentin kennen, wir verliebten uns ineinander und planten sogleich eine gemeinsame Zukunft. Wenige Monate darauf kam sie probehalber nach Deutschland, um zu sehen, wie es mit uns beiden klappen würde, wenn wir richtig zusammenlebten. Sie blieb, wir heirateten und begannen sogleich mit der Kinderzeugung. Zack, zack, hatten wir einen Sohn und eine Tochter.

Meine Frau war wunderschön und höchst intelligent und durchsetzungsfähig. Sie integrierte sich rasend schnell und ging sofort daran, ihren Weg zu gehen. Leider zeigten sich mit der Zeit einige andere Eigenschaften, die leider nicht so erfreulich waren und das Zusammenleben immer schwieriger machten. Wir beide hatten jeweils die Katze im Sack gekauft und uns in dieses Abenteuer gestürzt, ohne ahnen zu können, dass wir im Grunde überhaupt nicht zusammenpassten. Wir waren wie Schwefel und Wasser.

Die Trennung und Scheidung war unausweichlich.

Es geschah Schritt für Schritt und ohne Eile, zumal wir weiter in derselben Stadt lebten, sodass die Kinder jederzeit bei dem einen oder anderen sein konnten, wir hatten weiterhin unsere gemeinsamen Freunde und hatten sogar täglich Kontakt.

Das war für mich das Wichtigste: Konnte ich schon nicht verhindern und vermeiden, dass meine Kinder dasselbe Schicksal wie ich als Kind erleiden mussten, so sollte es doch wenigstens so konfliktfrei und einvernehmlich wie möglich geschehen. Zum Wohle der Kinder und aller Beteiligter.

Meine Ex hatte bald darauf einen neuen Partner (ebenfalls Scheidungsopfer mit zwei Kindern), und ich wurde selbstverständlicher Teil dieser Patchwork-Familie. Meine Kinder akzeptierten und mochten ihren Stiefvater und umgekehrt.

Wenn alle Seiten es wollen und versuchen, kann man mit solchen Konstellationen offen und ehrlich umgehen und sie zum Wohle aller gestalten.

Aber dafür müssen sich auch alle ehrlich machen und keine falschen Erwartungen schüren oder hegen und ihren Egoismus beiseite lassen.

Letztlich garantiert auch Familienzugehörigkeit nicht, dass man zusammenpasst und sich versteht und mag. Je größer die Familien, desto wahrscheinlicher gibt es Konflikte, aber desto mehr Auswahl hat man auch.

Jeder entwickelt so seine Vorlieben. Und was mich angeht, stelle ich mir meine „Familie“ inzwischen selber zusammen, und da zählen eine Menge Leute dazu: Freunde, Nachbarn, Kollegen, gewissermaßen sogar Fremde auf Twitter. Zu meiner „Familie“ zähle ich mein ganzes aktuelles Lebensumfeld, sogar die Musiker, deren Musik ich höre und spiele, die Schriftsteller, deren Werke ich lese und so weiter.

Meine Familie ist gewissermaßen eine Cloud. Und die ist nach allen Seiten offen und durchlässig. Viele sind nur kurze Begegnungen, Passanten, andere Bindungen halten über Jahre, obwohl man sich nicht einmal sieht und nur selten Kontakt hat (vielleicht sogar nur einmal im Jahr zum jeweiligen Geburtstag oder sogar noch seltener).

Ich war in jungen Jahren zum Beispiel mal fünf Jahre lang Mitglied eines A capella Quintetts, das viel Erfolg mit Musik im Stil der Comedian Harmonists hatte. Wir waren alle Schulfreunde, hatten aber innerhalb der Gruppe durchaus unterschiedlich starke Bindungen zu den jeweils anderen. Diese gemeinsame Zeit und Erfahrung hat uns trotz aller Unterschiedlichkeit aber zusammengeschweißt. Wir kennen uns so gut, dass wir sofort eine Wellenlänge haben, wenn wir uns denn mal sehen (was Jahre dauert, um stattzufinden).

Man sollte also realistisch sein und nicht zu viele Erwartungen in das altmodische Konzept der Familie stecken.

Wenn die eigene Familie nichts taugt, finden sich anderswo bessere Bezugspersonen, die ein ehrliches, nicht erzwungenes und verpflichtendes Interesse an dir haben.

Jemanden zu finden, der auf diese Weise das ganze Leben mit dir teilen will und kann und wird, ist jedoch extrem schwierig und unwahrscheinlich. Wenn es gelingt: Glückwunsch!

Aber wer glaubt, gewissermaßen einen Anspruch auf das Ehe- und Familienglück zu haben, den wird die Realität aller Voraussicht nach eines Besseren belehren.

Niemand hat einen Anspruch auf gar nichts. Wir kommen alle nackt auf die Welt und werden sie genau so auch wieder verlassen.

Auf nichts und niemanden ist Verlass.

Sei also so früh wie möglich Herr deines eigenen Lebens. Und betrachte jeden Zeitgenossen, der deinen Lebensweg kreuzt und hilfsbereit ist und dich – wenn auch nur befristet – sogar ein Stück weit begleitet, als Geschenk des Himmels.

Genieße den Moment, aber erwarte nicht, dass er ewig währt. Und  nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen, wenn’s schief oder zu Ende geht. That’s Life. Shit happens.

Es bleibt dein Leben.

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