Mein Hund Spike – Eine Fabel

Hunde haben so ihren eigenen Charakter. Und mein Hund Spike – wäre er ein Mensch – ich fände ihn kaum erträglich oder könnte ihn nur mit sehr viel Humor ertragen. Also mache ich es mit ihm.

Er ist mir zugelaufen. Jeder hier in meinem Viertel kannte ihn schon als Straßenköter, als ich neu nach Taquari zog. Und da ich oft zu Fuß mit meiner jungen Hündin unterwegs war, kannte er uns persönlich.

Er ist ein großer, kräftiger und dunkelbrauner Labrador, zwischen zwei und drei Jahre alt. Keiner weiß es so genau, wenngleich er einen ersten Besitzer hatte, der ihn aber auch an der langen beziehungsweise keinen Leine laufen ließ, wohin er wollte. Viele Hunde hier leben so. Gehören allen oder niemandem. Schlagen sich durch oder kommen unter die Räder.

Spike schloss auf Anhieb Freundschaft mit mir. Und es war auch nicht zu übersehen, dass ihm meine kleine, pfiffige und aufgeweckte Hündin Tití (ebenfalls mir zugelaufen) den Kopf verdrehte.

Machten Tití und ich unseren täglichen Strandspaziergang, schloss sich Spike spontan an und tollte mit atemberaubender Akrobatik mit meiner Hündin. Die beiden waren ein Herz und eine Seele.

Kaum hatte ich innerhalb des Ortes meinen Wohnsitz gewechselt, tauchte Spike am Garagentor auf und bat bellend um Erlaubnis, einzutreten.

Von da an wohnte, lebte er bei uns. Wir waren wie eine kleine Familie, ich, meine kleine, hübsche, kluge Tochter Tití und der heranwachsende, etwas wilde und rowdyhafte, pubertierende Spike.

Nun denn, die Liebe war gegenseitig und so hatte niemand etwas zu klagen.

Titís rätselhaftes Verschwinden

Eines Tages machten wir uns zum nahegelegenen Strand auf. Neben Tití und Spike gesellte sich auch noch die „Preta“ (Schwarze) dazu, eine dackelhafte schwarze Hündin, die schon vorher sowas wie die beste Freundin und Begleiterin von Spike war. Sie wurde immer mehr Teil unserer Mensch-Hund-Familie.

Spike und Preta gingen eh stets frei, ohne Kette. Sie hatten nicht einmal ein Halsband. Sie waren so aufgewachsen, waren sowas wie vogelfrei.

Tití konnte ich noch an die Kette gewöhnen, was sie außerordentlich folgsam machte. Kaum waren wir aber auf freiem Gelände, ließ ich auch sie los und die Hunde hetzten zum Strand los, um sich so richtig auszutoben. Wie immer drangen sie auch in die Mangroven und in die Büsche ein.

Ich ließ die Hunde laufen und setzte meinen eigenen Strandpaziergang ungestört fort.

Als ich zurückkam, hatte ich die Hunde aus den Augen verloren. Ich rief, lief mehrmals auf und ab. Aber nichts. Keine Reaktion. Kein Laut.

Ich kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Machte auf halbem Weg nochmal kehrt, rief, suchte. Nichts.

Um Spike und Preta machte ich mir dabei die geringsten Sorgen. Die beiden kannten die stark befahrene Bundesstraße, die man überqueren muss, um zu den Häusern der Siedlung zu gelangen. Sie hatten das schon tausendmal gemacht und schienen sich gelegentlich geradezu einen Spaß daraus zu machen , es besonders knapp aussehen zu lassen…

Tití war zwar sehr clever, aber hatte nicht die nötige Erfahrung. Ich wollte sie noch nicht ohne Leine über die Bundesstraße zurückkehren lassen. Zumal ich schon beobachtet hatte, dass Spike und Preta sich einen feuchten Kehricht darum kümmerten, ob ihre junge Followerin die Situationen richtig einzuschätzen wusste. Einmal nicht aufgepasst: Tschüs.

Ich unterrichtete alle, die mir über den Weg liefen und die ich kannte. Jeder hier kannte Tití und mich. Alle versprachen, Augen und Ohren offenzuhalten.

Doch erst am nächsten Tag, ungefähr 24 Stunden später, tauchte zunächst Spike auf, kurz darauf die Preta. Beide waren sehr hungrig und schmutzig und erschöpft.

Was war passiert? War Tití etwas zugestoßen?

Aus Spikes Mine meinte ich lesen zu können, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein musste. Dass Tití vielleicht irgendwo eingeklemmt, in ein Loch gefallen oder von einer Schlange gebissen worden war. Hilflos. Allein.

Ich machte mich bei Tageslicht wieder auf die Suche, musste die Suche bei einbrechender Dunkelheit aber abbrechen. Aber jeder, der an dem Tag am Strand war, hielt Augen und Ohren offen.

Sie tauchte nicht auf. Nicht am selben Tag. Auch nicht am darauffolgenden. Eine Nachbarin meinte zumindest des öfteren Hundegebell aus dem dichten Regenwald auf der Strandseite vernommen zu haben.

Am Tag nach der Rückkehr von Spike und Preta machte ich mich mit zwei Nachbarinnen und den Hunden zum Strand auf. Wir nahmen nun auch die Wege, die ins Dickicht der Mangroven und des Regenwaldes führten. Wir hatten die Hoffnung, Spike und Petra würden uns an den Ort führen, wo sie Tití zurückgelassen hatten. Immer wieder wiederholten wir den Namen Tití, riefen nach ihr.

Doch die Hunde hatten scheinbar kein Ziel. Sie stöberten mal hier, mal da und orientierten sich mehr an uns, als dass sie uns irgendwohin geführt hätten. Sie machten sich keinen Kopf um Tití.

Allerdings kamen wir schließlich an einer Stelle an, wo Spike und Preta mühelos durchschlüpfen konnten. Aber für uns Menschen war der Weg versperrt. Wir waren in einer Sackgasse gelandet.

Möglicherweise hatten Spike und Preta doch die richtige Fährte aufgenommen, denn Tage später tauchte Tití in einem Nachbarort auf, den sie durch das Dickicht des Waldes erreicht haben musste. Sie war wohlauf und bester Dinge. Das Wiedersehen war unglaublich glücklich für alle!

Nur eine Woche später wurde sie auf der Bundesstraße von einem Auto erfasst. Wir waren wie immer ohne Kette auf einem parallelen Feldweg spazieren gegangen. Sie hatte sich in die Büsche geschlagen und ohne jeden ersichtlichen Grund die Böschung erklommen und dann auf die Straße gerannt.

Spike und ich waren trostlos. Unser Herz war zerbrochen, geradezu aus dem Brustkorb gerissen. Das durfte, konnte doch einfach nicht wahr sein!!

Spike war sichtlich niedergeschlagen, depressiv, antriebslos. Insofern hatten wir beide Gesellschaft und einen Leidensgenossen. Nein, sogar viele. Viele Nachbarn und Freunde waren ebenfalls zutiefst getroffen, weil sie die ganze Zeit mitgefiebert hatten und alle von Tití bezaubert waren.

Aber so ist das Leben: Manchmal ist es schneller vorbei, als man denkt.

Und es geht trotzdem weiter.

Das Waisenkind Lelê

Denn keine Woche später hatte irgendjemand Asoziales drei Welpen an der Bundesstraße ausgesetzt. Sofort sprach sich das im Ort herum. Ein männlicher Welpe fand schnell Aufnahme in einem Nachbarhaus. Die zwei anderen – ein Männchen und ein Weibchen – tummelten sich weiterhin am Straßenrand herum.

Beim ersten Mal kam ich mit dem Fahrrad vorbei. Der Junge war extrem misstrauisch und scheu, das Weibchen dagegen zutraulicher. Auf dem Rückweg traf ich einen Mann an, der sich in die Nähe gesetzt hatte, um auf die Welpen aufzupassen, damit sie nicht auf die Straße liefen. Dazu waren sie aber eigentlich eh zu ängstlich. Zumal ihnen Passanten Essen und Trinken dagelassen hatten.

Ich holte mein Auto und kam zu der Stelle zurück. Der Junge ließ sich beim besten Willen nicht anlocken. Doch das Mädchen kam näher und ließ sich streicheln. Ich nahm sie in den Arm und brachte sie ins Auto.

Nun hatte ich also einen Ersatz für Tití gefunden.

Lelé, eine braun-graue kleine Jagdhündin, machte sich gut. Spike war erst nicht so von ihr angetan, denn sie verlangte genauso wie er nach Futter und Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit. Und Lelê erwies sich als extrem zärtlichkeitsbedürftig. Ständig kam sie auf meinen Schoß, heulte und jammerte herzerweichend, wollte gar nicht weg. Ich gab ihr, was sie brauchte, setzte aber auch Grenzen. Sie solle sich nicht so Anstellen, war meine Devise. Sie beruhigte sich, doch ihre sentimentale Ader war offenbar Teil ihres Charakters. Sie war nah am Wasser gebaut und ging mir zunehmend auf den Keks.

Genauso wie eine neu gewonnene Freundin aus der Nachbarschaft, mit der ich ein harmloses Tächtelmächtel begonnen hatte. Sie war ebenfalls sehr labil und nahe am Wasser gebaut und schnell beleidigt.

Sie schloss Lelê auf Anhieb ins Herz. Die Sympathie war beiderseits. Und so schlug ich der Freundin vor, Lelê zu adoptieren. Gesagt, getan.

Die beiden passen wie Topf und Deckel.

Ich blieb mit Spike allein.

Bis eine andere Nachbarin mir einen jungen Fox Paulistinha (Brasilianischer Terrier) brachte, den sie auf ihrem kleinen Grundstück einfach nicht halten konnte, da sie bereits zwei Hunde hatte. Ob ich ihn denn nicht haben wollte?

Da der Hund sich auf meinem Grundstück gleich heimisch fühlte, schlug ich ein.

Leider wurde auch Kid nicht alt. Auch er nahm sich an der Bundesstraße das Leben. Er war sehr agil, hippelig und verspielt und neugierig. Das kostete ihn letztlich sein Leben.

Es geschah wieder aus einer völlig normalen und gewohnten Situation heraus. Es hatte für mich keinen Grund gegeben, besonders aufmerksam zu sein.

Nun denn. Meine Haltung wurde allmählich lakonisch: Was soll’s. That’s Life. Shit happens. Das Leben geht weiter. Der Nächste, bitte!

Aber bisher habe ich alle Angebote und Gelegenheiten ausgeschlagen, andere bedürftige Hunde aufzunehmen.

Ich bin gewissermaßen traumatisiert. Ich weiß, daß mich keine Schuld trifft (jedenfalls keine wesentliche, auslösende). Aber ich will das trotzdem nicht nochmal erleben.

Also blieben Spike und ich seit Kid’s Tod allein zu Zweien.

Spike wurde in letzter Zeit immer undisziplinierter. Er ist kaum mehr Zuhause, streunt viel in der Umgebung herum.

Ausgelöst wurde diese Fluchttendenz zum Einen wohl von meinen oft vergeblichen Versuchen, seine Zecken und Flöhe und sonstigen Ungezieferkrankheiten zu behandeln. Das passte ihm ganz und gar nicht! Mir wiederum passte es nicht, jemandem auf dem Grundstück zu haben, der sich nicht pflegen lässt. Denn letztlich trägt er mir das Ungeziefer ins Haus!

Spike streunte immer mehr rum, kam manchmal tagelang, nächtelang nicht wieder, was die bisherigen Behandlungserfolge dann wieder zunichte machte.

Das eine Mal war er vier Nächte weggeblieben. Als ich ihn in den Bergen aufstöberte, hatte sich eine eitrige Entzündung wieder deutlich verschlimmert. Er kam zurück und erduldete widerstandslos die Behandlung.

Er hat sich also wieder etwas zivilisiert.

Und tauchte in letzter Zeit trotzdem zwar täglich auf, doch die Nächte verbringt er meistens draußen, wo auch immer.

Ich dachte, er hätte eine neue Geliebte.

Gestern tauchte er mit einem anderen Hund im Schlepptau auf, der sofort mein Grundstück erkundete. Der Hund erfüllte äußerlich das Bild einer Hündin, und so nahm ich weiter keine Notiz von ihm, zumal er sehr schüchtern und zurückhaltend war und sich in der hintersten Ecke des Grundstücks verkrümelte.

Am nächsten Tag war die Scheu verschwunden, und als er sich mir näherte und mich dann freudig ansprang, erkannte ich, dass es sich in Wahrheit um einen Rüden handelt.

Spike ist also offenbar schwul!! (Haha!!)

Oder mindestens bi, denn er soll schon die Hündin einer Nachbarin geschwängert haben und ich habe ihn auch schonmal eine Hündin auf der Straße bespringen sehen.

Spike ist also kein Kostverächter und nimmt, was er kriegen kann.

Er ist im Grunde ohne jede Moral.

Was kommt, das kommt. Was geht, das geht. Der Rest ist ihm völlig wurscht…

Die Moral von der Geschicht‘: Traue einem Hunde nicht!!

(Er ist nur solange dein bester Freund, wie du es ihm in seinem Sinne gut gehen lässt…)

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