Frankfurter Buchmesse für Brasilien ein voller Erfolg

Für die deutschen und brasilianischen Organisatoren der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast Brasilien war die Veranstaltung gleichermaßen ein großer Erfolg. Innerhalb wie außerhalb des Messegeländes präsentierte sich das Land auf unzähligen Veranstaltungen in seiner ganzen Vielfalt. Und vermittelte damit ein differenzierteres Bild jenseits von Samba, Karneval und Caipirinha.

Auf der abschließenden Pressekonferenz am gestrigen Samstag lobte Buchmesse-Chef Juergen Boos die gute Zusammenarbeit mit der brasilianischen Seite über die vergangenen drei Jahre. Man sei zu einem Team zusammengewachsen. Die Auseinandersetzung mit dem Land habe auch sein persönliches Bild von Brasilien zerstört, das von den verbreiteten Klischees geprägt gewesen sei. Getreu dem Motto der Ehrengastpräsentation – “ Brasilien, ein Land voller Stimmen“ – nehme er Brasilien nun als ein Land wahr, das auch sehr intellektuell sei und das mit seiner Identität kämpfe. Brasilien habe in den vergangenen Wochen wie kein anderes Gastland zuvor das kulturelle Leben in der Messestadt geprägt. Praktisch jede Frankfurter Institution habe Brasilien gecovert. Insgesamt wurden 651 Events gezählt, die im August begannen und bis ins nächste Jahr reichen. Für Brasilienliebhaber und Expatriates ist Frankfurt derzeit sicher der spannendste Ort in ganz Deutschland.

Auch geschäftlich war die Messe ein Erfolg. 2500 brasilianische Bücher wurden dort präsentiert, wie Karina Pansa, Präsidentin der brasilianischen Buchkammer CBL erläuterte. Brasilien habe sich vom Käufer von Urheberrechten zum Verkäufer gewandelt. Hatte der Copyright-Verkauf im Jahr 2010 nur einen Umfang von US$ 495.000, übersprang er im vergangenen Jahr schon die Millionengrenze (USD 1,2 Mio.).

Nach Angaben von Renato Lessa, Präsident der Stiftung Nationalbibliothek von Brasilien, hat das Land insgesamt € 6,25 Mio. in seine Präsentation investiert. € 1,51 Mio. entfielen auf das Literaturprogramm, € 1,52 Mio. auf den 2.500 qm großen Pavillon im Messe-Forum, €1,88 Mio. auf das Kulturprogramm und €1,2 Mio. auf den gemeinsamen Stand der Verlage.

An den Fachbesuchertagen wurden rund 60.000 Besucher im Pavillon gezählt. Mit seinen gewundenen Wänden aus mehr als 3000 Papierkacheln präsentierte er das Land als „begierig auf äußere Einflüsse und als Stätte der Neugeburt von Identitäten“ (Pressetext). Zu den begehrtesten Orten im Pavillon gehörten die in einer Ecke angebrachten Hängematten, in denen man über Kopfhörer brasilianischer Musik lauschen konnte.

Das Auditorium bot den angereisten 70 brasilianischen Autoren eine Bühne, um aus ihren Werken zu lesen und angeregte Debatten über die gesellschaftliche Entwicklung des Landes zu führen.

Brasiliens erfolgreichster Autor Paulo Coelho hatte seine Teilnahme kurz vor Beginn der Messe abgesagt, was Nationalbibliotheks-Präsident Lessa auf der abschließenden Pressekonferenz auf Nachfrage sehr bedauerte. Buchmessechef Boos konnte der Absage etwas Gutes abgewinnen. Der Publicity habe die Absage genutzt und die Aufmerksamkeit für die angereisten Autoren verstärkt. Nächstes Jahr werde Coelho wieder dabei sein. Auch so war er allgegenwärtig: Sein Konterfei prangte auf den Shuttle-Bussen, die über das Messe-Gelände fuhren, mit der Aufforderung „follow me on facebook twitter“. Offenbar ist der eitle Bücher-Millionär nicht bereit, sich die brasilianische Bühne mit anderen Autoren zu teilen. Ein Image-Schaden für Coelho, nicht für Brasilien und die Messe-Organisatoren.

Proteste und WM 2014

Brasilien stand auch im Fokus des Kulturstadions, das die DFB-Kulturstiftung Theo Zwanziger für die beiden Publikumstage eröffnete. Am Samstag begrüßte ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, Fussball-Legende Uwe Seeler und den deutsch-brasilianischen Ex-Fussballer Paulo Rink auf der Bühne. In lockerem Ton wurde über die Qualitäten des brasilianischen und deutschen Fussballs schwadroniert. „Das Ziel ist klar“, sagte Niersbach. „Wir wollen möglichst diesen Pokal in Händen halten. Das Problem ist: Das wollen die anderen auch.“

Vor allem die Brasilianer. Paulo Rink, als Deutsch-Brasilianer sogar einst für die deutsche Auswahl tätig, verdeutlichte, dass die ohnehin hohe Erwartungshaltung der Brasilianer an ihre seleção nach dem Gewinn des Confederations Cup noch mehr gestiegen ist. Alle Beteiligten träumen von einem deutsch-brasilianischen Finale im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro.

Bis dahin ist es aber ein weiter Weg, wie der DFB-Präsident eingestand. Das Klima und die großen Distanzen zwischen den Spielorten seien eine große Herausforderung. „2014 muss man sich das so vorstellen, als ob wir das Mannschaftsquartier in Frankfurt hätten, auf Gran Canaria das erste Gruppenspiel, in Moskau das zweite und auf den Färöern das dritte.“

Daher habe man sich intern nun „definitiv“ entschieden, erst nach der Auslosung der WM-Gruppen (6. Dezember) eine Entscheidung über das WM-Quartier zu treffen. Ich habe schon an anderer Stelle geschrieben, dass ich diese Vorgehensweise nicht nachvollziehen kann. Gerade aufgrund des Klimas und der Distanzen kommt ein WM-Quartier im Süden und Norden des Landes ohnehin nicht in Frage. Im Hinblick auf den weiteren Turnierverlauf und die strategische Lage kommen nur die Regionen São Paulo, Rio de Janeiro, Belo Horizonte und Salvador ernsthaft in Frage. Der DFB läuft Gefahr, bei einer zu langen Verzögerung der Entscheidung am Ende nur das nehmen zu können, was übrig bleibt.

Was die Organisation der WM angeht, lobte Paulo Rink Deutschland als Vorbild. „Wir wollen so eine gute WM in Brasilien machen wie Deutschland 2006.“ Dass dies nicht gelingen wird, weiß schon jetzt jeder, der die Vorbereitungen verfolgt. Auch sonst redete Rink viel dummes Zeug. So liefe in seiner Heimatstadt Curitiba im südlichen Bundesstaat Paraná alles bestens. Tatsache ist, dass allein der Stadionbau von allen 12 WM-Städten am wenigsten fortgeschritten ist. Die Arena da Baixada ist erst zu 79 Prozent fertig, von den Infrastrukturprojekten gar nicht zu reden. Da Rink als Abgeordneter im Stadtparlament auch in die Organisation und Planungen seiner Heimatstadt eingebunden ist, dürfte er es besser wissen. So konnte man auch kaum eine kluge Antwort erwarten, als er von Müller-Hohenstein auf die Proteste angesprochen wurde, die es während des Confed Cup im Juni im ganzen Land gab. Ob es auch bei der WM wieder zu Protesten kommen werde? „Ich hoffe nicht, aber wenn Politik sich nicht ändert, kann es wieder Proteste geben“. Aha.

Ergiebiger war das Gespräch, das ich später im brasilianischen Pavillon mit den Historikern Mary del Priore und José Murilo de Carvalho verfolgte. Thema war Brasiliens sozialer und politischer Sonderweg, doch bald kreiste die Diskussion darum, wie die Juni-Proteste einzuordnen sind. Im überfüllten Auditorium saßen viele Brasilianer, die sich lebhaft an der Debatte beteiligten. Man merkte, dass auch die Brasilianer noch keine Antwort darauf gefunden haben, wie die Proteste einzuordnen sind. Ist das der Beginn einer neuen Zivilgesellschaft? Oder waren sie nur ein Strohfeuer und es wird sich ohnehin nichts ändern?

Carvalho machte deutlich, dass der demokratische Prozess in Brasilien im Vergleich zu anderen Ländern verspätet eingesetzt habe und sich nun umso heftiger artikuliere. Auch wenn Volksrevolten in der brasilianischen Geschichte eine große Bedeutung hätten, sei das Volk per se nicht politisch. Durch Kolonial- und Sklavengeschichte habe sehr lange ein Abhängigkeitsverhältnis des Volkes zu seiner Regierung bestanden. Und wenn man sehe, dass ein Viertel der heutigen Bevölkerung in Form der Bolsa Família soziale Leistungen des Staates erhalte, habe sich an dieser Abhängigkeit immer noch nicht genug geändert. Politisch werde der Mensch erst, wenn seine existenziellen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Die im Amerikanischen empowerment genannte Selbstbestimmung des Bürgers stecke in Brasilien noch in den Kinderschuhen. Hier komme der Verbesserung des Bildungssystems eine entscheidende Rolle zu.

Was die politische Klasse angeht, sieht Carvalho die Straflosigkeit (impunidade) als größtes Problem an. Gerade der mensalão-Skandal, bei dem unter der Regierung Lula systematisch Abgeordnetenstimmen gekauft wurden, habe wieder vor Augen geführt, dass korrupte Politiker ohne Furcht vor Gefängnis ihre persönlichen Interessen verfolgen könnten. Mary del Priore fand es bezeichnend für den Grad der Politisierung des Volkes, dass die Menschen nicht nach dem Richterspruch im mensalão-Prozess auf die Straßen gingen, sondern nach der Erhöhung der Busfahrpreise in vielen Metropolen des Landes.

Brasilien ist ein heterogenes Land, voller Konflikte, Kontraste, Widersprüche und auf der Suche nach seiner Identität. Die Buchmesse hat einen wertvollen Beitrag zum tieferen Verständnis dieses Landes geleistet.

Wie schon letztes Jahr, habe ich persönlich den Besuch der Messe als großen Gewinn empfunden. Dass ich dieses Jahr mit dem Ehrengast Brasilien selbst mit einem Brasilienbuch dort vertreten war, rundet das Erlebnis noch ab.

Paulo Coelhos Absage an die Frankfurter Buchmesse

Pünktlich zur Buchmesse #fbm13: Bildband „Highlights Brasilien“

Brasiliens Identität im Spiegel seiner Schriftsteller

Die Proteste in Brasilien während des Confed Cups

 

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