Bundestagswahl 2017 und Deutsche Einheit

Weiter so wie immer! Das war der Tenor meiner Einschätzung VOR der Bundestagswahl 2017. Nun, vor gut einer Woche, wurden die Karten jedoch neu gemischt: Die Große Koalition aus Union und SPD wurde abgestraft, die FDP kehrte nach vier Jahren Abstinenz mit deutlichen Zuwächsen in den Bundestag zurück, Linke und B90/Grüne konnten sich behaupten und die nationalistische AfD zog mit einem zweistelligen Ergebnis erstmals ins Reichstagsgebäude ein. Auch wenn die Große Koalition aus Union und SPD weiterhin eine Mehrheit im Bundestag hätte, verkündete SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz noch am Wahlabend den Rückzug seiner Partei in die Opposition. Und so bleibt Bundeskanzlerin Merkel in ihrer vierten und wohl letzten Amtszeit nur die sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Das gab’s auf Bundesebene noch nie! Die Bundestagswahl hat zudem eine wieder wachsende Spaltung zwischen den alten und neuen Bundesländern zutage gefördert. Ein „Weiter so!“ kann es nicht geben.

Die Wahlbeteiligung lag mit 76,2 Prozent deutlich höher als vor vier und acht Jahren. Von mangelnder Mobilisierung der Wähler kann also keine Rede sein. Und auch wenn das Geschrei um den Einzug der AfD mit 12,6 Prozent als drittstärkste Kraft derzeit groß ist: Überraschend war das Ergebnis angesichts der Umfragen und Prognosen nicht. Und es spiegelt doch ziemlich genau die Stimmungslage in der Bevölkerung wider.

Hier nochmal die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 im Einzelnen (Zweitstimmen, Quelle: Bundeswahlleiter):

  • CDU: 26,8% (-7,4 Prozentpunkte)
  • SPD: 20,5% (-5,2)
  • AfD: 12,6% (+7,9)
  • FDP: 10,7% (+6,0)
  • DIE LINKE: 9,2% (+0,6)
  • B90/Grüne: 8,9% (+0,5)
  • CSU (nur in Bayern angetreten, Ergebnis auf Bund umgerechnet): 6,2% (-1,2)

Im Gegensatz zu vielen anderen Kommentatoren sehe ich keine „tektonische Verschiebung“, keinen „Ruck nach Rechts“, keine „Zeitenwende“. Ich bin zuversichtlich, dass diese AfD ein vorübergehender Spuk bleiben wird, zumal es genug Kräfte in dieser Partei gibt, welche für eine Selbstzerlegung sorgen, wie der Austritt aus Fraktion und Partei von Frauke Petry versinnbildlicht. Hinzu kommt, dass sie nach aktuellem Stand der Dinge an ihrem Doppelmandat festhalten möchte. Petry sitzt nämlich bereits im sächsischen Landtag. Ein solches Verhalten verstärkt am Ende nur die Politikverdrossenheit bei denjenigen Wählern, die ohnehin nur noch wenig Vertrauen in den Politikbetrieb haben.

Gleichwohl darf man den Erfolg der AfD nicht unterschätzen. Er spiegelt das Unbehagen mancher Bevölkerungsgruppen wider, sich angesichts von Flüchtlingsströmen, Migranten mit muslimischem Hintergrund und islamistischem Terror im eigenen Land zunehmend fremd zu fühlen. Und er korrespondiert mit ähnlichen nationalistischen Strömungen in Europa, den USA, weltweit.

Alarmierend ist der hohe Anteil an AfD-Wählern in den ostdeutschen Bundesländern, der ehemaligen DDR. In Sachsen wurde die AfD mit 27,0 Prozent der Zweitstimmen stärkste Kraft vor der CDU mit 26,9 Prozent! In Thüringen sah es nicht viel besser aus.

Auch wenn Wahlforschern zufolge 60 Prozent der Wähler die AfD nicht aus Überzeugung, sondern aus „Protest“ gewählt haben: Unterm Strich zeugt der hohe Stimmenanteil von einem gestiegenen Frust über die etablierten Parteien, der sich ein Ventil gesucht hat. Besonders im Osten. Vor allem bei Männern. Wahlforscher zeichnen das Bild des älteren, männlichen, frustrierten ostdeutschen Mannes, der zur Kernklientel der AfD gehöre.

Es sind jene alten und wütenden Männer, die man aus dem Fernsehen als Schreihälse von Wahlkampfveranstaltungen und Pegida-Demos zur Genüge kennt.

Über die Gründe über diese Wut und diesen Frust kann man viel spekulieren. Tatsache ist, dass 40 Jahre DDR-Sozialisation mit einhergehenden Demokratie- und Multikulti-Defiziten nicht einfach abzuschütteln sind und dass die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung noch zu wünschen übrig lässt, wie schon allein der Blick auf die Arbeitslosenzahlen belegt.

Die AfD hat aber nicht nur im Osten starke Zuwächse erfahren. Ausgerechnet im so starken und wohlhabenden Bayern hat sie mit 12,4 Prozent ihr bestes Ergebnis aller alten Bundesländer erzielt. Frustwähler, die sich sozial und ökonomisch abgehängt fühlen, dürften das kaum gewesen sein.

Die CSU hat in Bayern über 10 Prozentpunkte eingebüßt und kam dort nur noch auf 38,8 Prozent! Das war ein Schlag ins Kontor einer Regionalpartei, die für sich einen naturgegebenen Alleinherrscheranspruch auf Bayern erhebt.

Parteichef Horst Seehofer zeigte sich entsprechend zerknirscht, beklagte die rechte Flanke, die man offengelassen habe und beteuerte: „Wir haben verstanden!“ Um im selben Atemzug die berühmt-berüchtigte „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Bedingung für jedweden Koalitionsvertrag zu machen. Der Feind in meinem Bett, möchte man der CDU zurufen.

Es ist das gleiche Spiel wie mit der PKW-Maut vor vier Jahren: Die CSU beharrt starrsinnig auf einer Einzelforderung, auch wenn sie noch so unsinnig ist, und macht sie zur Bedingung für eine Koalition.

Mit anderen Worten: Seehofer hat gar nichts verstanden. Zu glauben, man könne die AfD bekämpfen, indem man sie rechts überholt, kann nicht die Lösung sein, zumal sich die CSU mit ihrer „Obergrenze“ ohnehin schon nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt. Das Asylrecht ist eine Norm, die nicht durch „Obergrenzen“ einzuschränken ist. Wer so etwas postuliert, streut den Wählern Sand in die Augen. Das ist Symbolpolitik, die ins Leere läuft.

Der Grund für das schlechte Abschneiden der CSU dürfte auch weniger darin liegen, dass sie den Wählern  nicht rechts genug ist, sondern dass sie mit ihren Alleingängen der CDU und Angela Merkel auf der Nase herumtanzt und den Koalitionsfrieden permanent stört. Dass sie rumpoltert und am Ende nichts dabei herumkommt.

Für eine etwaige Jamaika-Koalition ist das Beharren auf der „Obergrenze“ auch mehr als kontraproduktiv, denn mit den GRÜNEN ist sie mit Sicherheit nicht zu machen.

Überhaupt ist es schwer vorstellbar, wie eine solche Jamaika-Koalition – zumal mit Beteiligung der CSU – gelingen soll. Die Programme von CDU, CSU, FDP und Grünen sind so unterschiedlich, dass sie kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Schon jetzt rechnet kaum jemand damit, dass die Verhandlungen, die noch gar nicht begonnen  haben, in diesem Jahr noch zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden können. Statt wenigstens beherzt damit zu beginnen, soll erst einmal die vorgezogene Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober abgewartet werden. Man gönnt sich alle Zeit der Welt, während die sich unaufhörlich weiterdreht.

Die SPD hat das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit eingefahren. Die Mitwirkung an der Großen Koalition hat ihr nur geschadet. Die Wähler wussten ihr Wirken in der Koalition nicht zu würdigen. Es ist daher konsequent, dass sie sich einer Neuauflage verweigert. Für den gemeinen Wähler war es schwer, zwischen den beiden Großparteien zu differenzieren. Für die SPD war es schwer, Wahlkampf gegen eine Bundeskanzlerin zu betreiben, mit der man vier Jahre zusammen regiert hat. Martin Schulz, zuvor Präsident des Europaparlaments, eignete sich kaum als Gegenpol zu Angela Merkel, weil er zu wenig unterscheidbar war.

Für diejenigen, denen es gut geht, gab es keinen Anlass, auf ein anderes Pferd zu setzen. Und für diejenigen, die „Merkel muss weg“ rufen, war Schulz keine klare Alternative.

Wenn es rechnerisch möglich wäre, würde ich ja für eine Koalition ohne CSU-Beteiligung plädieren. Dann könnte die sich an der AfD abarbeiten, während die anderen Politik machten.

Bliebe noch das Modell einer Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten, das am Ende eventuell sogar stabiler sein könnte als eine Jamaika-Koalition, die sich voraussichtlich eh nur auf den denkbar geringsten gemeinsamen Nenner wird einigen können.

Eine Jamaika-Koalition hat nur dann eine Chance, wenn die beteiligten Partner von Maximalforderungen absehen und jede Partei pragmatisch ihre jeweiligen Qualitäten und Kompetenzen einbringt. Wenn auf das obsolte Rechts-Links-Schema verzichtet wird und ganz pragmatisch konkrete Lösungen für reale Probleme erarbeitet werden: Mehr Investitionen in Bildung und Wohnungsbau, Ausbau des Breitbandnetzes, Erarbeitung eines Einwanderungsgesetzes, das den legalen Zuzug von Migranten nach Bedarfslage regelt, Umsetzung der Klimaziele und der Energiewende – um nur die wichtigsten Ziele zu nennen.

Deutschland als Stabilitätsanker in der Mitte Europas ist jedenfalls vorerst passé. Auch Deutschland ist vom Virus der um sich greifenden Verunsicherung erfasst. Merkel ist geschwächt und muss in Europa das Helft des Handelns nun dem französischen Präsidenten Macron überlassen.

Wer hätte das vor der Wahl gedacht?

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