Bravo, Anne Will!

Vor vielen Jahren habe ich mal sehr vertrauensvoll mit Anne Will zusammengearbeitet, habe über die Jahre aber das Interesse an ihren Sendungen verloren. Heute habe ich zufällig in ihre Talkshow gezappt und war auf Anhieb gefangen von ihrer Gästezusammenstellung, dem Thema und ihrer hervorragenden Moderation. Es ging um das Thema Afghanistan und in der Folge um den Irak und den jetzigen Syrienkonflikt.

Die Talkrunde diente der Vertiefung des TV-Dokudramas Eine mörderische Entscheidung, das zuvor in der ARD ausgestrahlt worden war. Es handelt von der fatalen Entscheidung von Bundeswehroberst Klein im afghanischen Kunduz, zwei steckengebliebene Tanklastzüge bombardieren zu lassen, weil sie von Taliban entführt worden waren. Bei dem Bombenangriff kamen 140 Zivilisten ums Leben. Im Nachhinein bedauere ich, den Film nicht gesehen zu haben.

Das war für das Verständnis der anschließenden Talkshow allerdings unerheblich. Denn die beteiligten Gäste diskutierten den Fall mit solcher Ernsthaftigkeit und Sachkenntnis, dass man auch so begriff, was in Afghanistan und anderswo alles so schief läuft und gelaufen ist.

Einblicke eines Nachrichtenoffiziers

Als ich einschaltete, sprach gerade der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann, Jahrgang 1977, der 2005 seinen ersten Einsatz in Kunduz hatte (ein zweiter folgte 2008) und dessen Aufgabe es war, Kontakt zur Bevölkerung herzustellen und in enger Verbindung zu den Geheimdiensten und den Streitkräften zu stehen. Er beschrieb das Dilemma der Soldaten zwischen der Realität vor Ort und der Wahrnehmung und Darstellung des Einsatzes in der Heimat. Die deutsche Bevölkerung wurde von Politik und Medien im Verlauf des Einsatzes im Unklaren gelassen über den Kampfcharakter. In Deutschland glaubte man, die Soldaten wären nur zum Brunnenbohren und Schulenbauen da. Tatsächlich hätten sie nicht einen einzigen Brunnen gebohrt. Das sei Aufgabe der technischen Hilfswerke gewesen.

Auch habe es vor Ort das Dilemma gegeben, dass man Bitten aus den Reihen der vertrauensvollen Einheimischen nach konkreten Hilfestellungen und polizeilichen Eingriffen nicht hätte nachgehen können, weil das nicht vom Auftrag gedeckt gewesen sei. So sei die Bundeswehr zwar wahrscheinlich die erste Armee gewesen, die sich gegenüber den Afghanen anständig benommen habe, nur hätten sich die Einheimischen nach einer Weile gefragt, was das denn für eine Armee sei, die für nichts zuständig sei…

In der Runde saßen außerdem:

Jürgen Todenhöfer (*1940), Autor und Publizist, einst für die CDU im Bundestag, überzeugter Pazifist, der im Nahen Osten gut vernetzt ist und Interviews mit Machthabern wie Syriens Assad geführt hat;

Roderich Kiesewetter (*1963), CDU, Oberst a.D., Mitglied des Bundestages, wo er sich vor allem mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt;

Omid Nouripour (*1975), gebürtiger Iraner, sicherheitspolitischer Sprecher von B90/Die Grünen im Bundestag, Mitglied des Verteidigungsausschusses, beteiligt an der parlamentarischen Aufarbeitung des Kunduz-Schießbefehls;

Ulrike Demmer, Journalistin. Einen Tag nach dem Bombardement in Kunduz interviewte sie Oberst Klein.

Schon an der Gästeauswahl war zu erkennen: Hier sind Menschen versammelt, die etwas von der Sache verstehen. Und obwohl gerade Wahlkampf ist und Politiker verschiedener Parteien zugegen sind, artet die Diskussion nicht in Schuldzuweisungen und politische Schattengefechte aus. Nein, hier wird gemeinsam versucht, den Dingen ernsthaft auf den Grund zu gehen und die wahren Hintergründe zu beleuchten. Das tut gerade in diesen Tagen gut, wo Politiker sich im Fernsehen aufgeregte Wortgefechte liefern bzw. die Bevölkerung mit „Alles-ist-gut“-Mantras einlullen.

Anne Will – nach meinem Eindruck über die Jahre zu verbissen und zu sehr Teil des Systems geworden – war hoch konzentriert und gut im Thema und im Gespräch drin, moderierte die Runde mit Umsicht, Aufmerksamkeit und Zurückhaltung.

Der Zuschauer bekam einen tiefen und umfassenden Einblick in die Hintergründe und Abgründe des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Problemlos gelang die Ausweitung des Themas zum späteren Irak-Krieg, der US-Politik und dem aktuellen Syrienkonflikt.

Wie informativ und wohltuend kann doch eine Talkshow sein, wenn man intelligenten und bestens informierten Experten zuhört. Da bekommen komplexe Sachverhalte differenzierte Konturen, werden verständlich, werden eingeordnet.

Mit Ausnahme der Journalistin Demmer waren alle gegen ein militärisches Eingreifen in Syrien, wenngleich die Befürchtung geteilt wurde, dass die USA es wohl tun werden. Nachdem das britische Unterhaus allerdings schon Premierminister Cameron von einer Beteiligung abbringen konnte, äußerten sowohl Nouripour wie Kiesewetter die Hoffnung, dass auch der US-Kongress Obama noch aufhalten könnte.

Nach der Irak- und Afghanistan-Erfahrung mache sich offenbar doch so etwas wie Kriegsmüdigkeit aus, konstatierte Anne Will.

Für eine politische Lösung des Syrienkonflikts

Was viel mehr Not tut, ist, der syrischen Bevölkerung zu helfen. Millionen sind in die Nachbarländer geflohen, ein Anstrum, der Länder wie den Libanon und Jordanien alsbald kollabieren lässt. (Deutschland nimmt gerade mal 5000 auf.) Trotz der Schrecklichkeit des Giftgasangriffs (von dem noch nicht geklärt ist, wer ihn letztlich verübt hat), sei ein militärisches Eingreifen kontraproduktiv, sagte der Grüne Es führe kein Weg an einer politischen Lösung vorbei. Und dafür müssten die USA endlich wieder beginnen, mit ihren Feinden zu reden, so Todenhöfer. Seit George W. Bush hätten die USA damit aufgehört. Todenhöfer berichtete aus erster Hand, Assad sei bereit zu reden und Konzessionen zu machen. Anne Will hielt eine solche Aussage von Assad jedoch für wenig glaubwürdig.

Obama sollte sich dennoch einen Ruck geben und sich seinen verfrühten Friedensnobelpreis endlich mal verdienen. Der Satz mit der „roten Linie“ war eine unüberlegte Dummheit. Damit setzte er sich unnötig unter Zugzwang. Obama muss mit den Russen und Chinesen einen gemeinsamen Weg finden.

Geld für syrische Flüchtlinge!

Unterdessen sollte Geld nicht verschossen, sondern für die Flüchtlingshilfe fließen. Und Deutschland sollte ein Signal setzen (Hallo Merkel!! AUFWACHEN! ES IST WAHLKAMPF!!) und massiv den Flüchtlingen helfen. Herz zeigen. Mitgefühl. Deutschland ist stark, sagt die Merkel doch dauernd. Na, dann los! Wenn wir so stark sind, können wir auch etwas schultern. Allemal besser als mit unserem Geld marode Banken zu stützen.

Nachklapp zum TV-Duell von Steinbrück gegen Merkel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.