100 Tage Bolsonaro

100 Tage sind es nun, die der im Oktober 2018 gewählte, rechts-konservativ-radikale Präsident Jair „Messias“ Bolsonaro im Amt ist. Und was soll man sagen? Die Bilanz ist noch armseliger, als es eh zu befürchten war…

Ich werde meine wertvolle Lebenszeit nicht darauf verschwenden, nochmal alles zusammenzutragen, was in dieser kurzen Zeit an Dummheiten gesagt und getan wurde. Erstens machen das genug andere, die dafür bezahlt werden, zweitens ist es schon jetzt nahezu unmöglich, alle Fehltritte und Fehlentscheidungen aufzuzählen!

Für mich ganz persönlich hat sich mein Blick auf Brasilien durch Bolsonaro und seine grenzdebilen Anhänger leider zum Schlechteren verändert.

Seit meiner ersten Brasilien-Reise im Jahr 2002 habe ich die Entwicklungen des Landes mit zunehmender Intensität verfolgt und Ende 2017 meinen lang gehegten Traum, meinen Lebensmittelpunkt nach Brasilien zu verlegen, realisieren können.

Ich bereue es nicht, um das gleich vorauszuschicken.

Aber bis zum Wahlkampf für die Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Oktober 2017 war mir nicht bewusst gewesen, wie ungebildet, ignorant und dumm weite Teile der Bevölkerung doch sind! Und damit meine ich nicht nur die als Bolsominions verspotteten Anhänger des Rechtsaußen. Auch bei den Gegnern und Anhängern des seit einem Jahr in Haft sitzenden linken Ex-Präsidenten Lula findet man einen Grad an Irrationalität und Heiligenverehrung, der mit der Wirklichkeit herzlich wenig zu tun hat.

Irrational. Das ist wohl des Pudels Kern.

Der Brasilianer an sich – diese Verallgemeinerung sei erlaubt – ist nicht besonders rational. Brasilianer sind spontan und handeln aus dem Bauch heraus und denken nicht viel nach, bevor sie den Mund aufmachen. Das ist im Alltag auch durchaus sympathisch. Und ich ziehe es immer noch vor, im Alltag von Brasilianern umgeben zu sein als von komplizierten, unspontanen und spaßfreien Deutschen. Mit Brasilianern hat man einfach mehr Spaß.

Selbst vor dem Hintergrund der schweren Wirtschaftskrise der letzten Jahre und all der sozialen Probleme, die das riesige Land hat, versprüht ein durchschnittlicher, bitterarmer Landarbeiter oder Favela-Bewohner mehr Lebensfreude als ein wohlstandsgesättigter Mitteleuropäer!

Umso mehr hat mich erschreckt, wie sehr der Bolsonaro-Clan und seine Anhänger die Stimmung im Land regelrecht VERGIFTET haben!

Der Hass, die Rücksichtslosigkeit, die Gnadenlosigkeit, mit der die Bolsonaro-Anhänger agieren, ist geradezu unfassbar! Wie sie ihre Gegner verunglimpfen, angreifen, verfolgen und selbst vor Gewalt nicht zurückschrecken ist wirklich schlimm! Bolsonaro hat vor allem in den Metropolen und in den Sozialen Netzwerken ein gesellschaftliches Klima erzeugt, das einfach nur abartig, unwürdig und unsittlich ist!

Dabei ist der Präsident im Grunde einfach nur geistig unterbemittelt. Völlig ungebildet, schlecht informiert, einfältig. Intellektfrei. Er liebt das Militär und denkt sehnsüchtig an die Zeit der Diktatur zurück (1964 – 1985), die er lieber heute als morgen wieder zurück haben möchte. Weil damals alles angeblich so viel besser war. Und seine dumpfbackigen Anhänger applaudieren auch noch, preisen ihn als Messias und Erlöser Brasiliens!

Ähnlich wie Trump, den Bolsonaro und sein Clan zutiefst verehren, versuchen sie die Welt auf den Kopf zu stellen und alles, was bisher verbürgt und als allgemein anerkannte Wahrheit akzeptiert ist, zu negieren und umzuinterpretieren.

Das gipfelt in der selbst in Israel (nach dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte!) öffentlich vertretenen Überzeugung, der Nationalsozialismus sei in Wahrheit „links“, nämlich „sozialistisch“ gewesen (weil das Wort ja auch im Parteinamen vorkommt!).

In sogenannten Linken, Sozialisten und Kommunisten sehen die Bolsominions ihren ärgsten Feind!

Man fühlt sich geradezu in die Zeiten des Kalten Krieges zurückversetzt, wenn man ihrer Rhetorik folgt!

Herr im Himmel, will man da nur schreien!! Schick Hirn herunter!!

Es ist alles so hinrissig, dass es den Verstand eines normal gebildeten und informierten Menschen zutiefst beleidigt.

Und da das Bildungssystem Brasiliens seit Bestehen des Landes auf absolut niedrigem Niveau vor sich hinvegetiert, finden sich natürlich genug Deppen, die diesem Unsinn auf den Leim gehen.

Aber es gibt Hoffnung.

Und die liegt darin begründet, dass Brasilianer ihre Meinung wechseln wie andere ihren Stock oder Hut.

Brasilianer sind extrem kommunikativ, stark vernetzt und sehr flexibel (wenn man von den konservativen Katholiken, fundamentalistischen Evangelikalen und der Machtelite absieht, was leider eine nicht zu verachtende Größe ist…).

Im Jahr vor der Fussball-WM gingen plötzlich Millionen Menschen auf die Straßen, um soziale Verbesserungen und ein Ende der grassierenden Korruption einzufordern.

Sowas kann jederzeit wieder passieren, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung zu dem Schluss kommen sollte, dass Brasilien unter Bolsonaro den falschen Weg eingeschlagen hat.

Die Zustimmungsraten, die Bolsonaro nach weniger als 100 Tagen im Amt in der jüngsten Umfrage bekommen hat, sind schon jetzt die Schlechtesten aller seiner Vorgänger seit Wiedereinführung der Demokratie!

Abgesehen von der Liberalisierung des Waffenhandels hat Bolsonaro nichts auf den Weg gebracht, was sich seine Anhänger von ihm versprachen:

  • Die dringend notwendige Reform des Pensionssystems ist ein Rohrkrepierer und wird – wenn überhaupt – wieder nur auf Kosten der Armen vollzogen werden.
  • Die Sicherheitslage in den Metropolen hat sich dank der aufgeheizten Stimmung verschlimmert, denn Bolsonaro-Anhänger sehen die rechtsradikale, intolerante Stimmung als Freibrief, nun Andersdenkende und Andersseiende (wie Schwule und Lesben) hemmungslos zu verfolgen.
  • Und der Trump-freundliche Wirtschaftskurs führt nur zu einem neo-liberalen Ausverkauf des Landes auf Kosten der Allgemeinheit!

Leider fehlt es sowohl beim breiten Volk wie sogar der Elite des Landes größtenteils an dem Willen wie dem Know-How, die globalen und sozialen Zusammenhänge zu verstehen, geschweige denn zu gestalten.

Brasilien bräuchte einen Crash-Kurs in Sachen Ökonomie und Bildung/Weltwissen!

Und dabei könnte doch alles so gut sein!

Brasilien ist eines der reichsten Länder der Welt! Die Agrarindustrie ist weltweit führend. Brasilien verfügt über unermessliche natürliche Rohstoffe und ist die Grüne Lunge unseres Planeten. Brasilien könnte ein Vorreiter sein bei der weltweit notwendigen Versöhnung von Ökonomie und Ökologie!

Brasilien hat wiederum so viele reale Probleme zu lösen, dass es absolute Zeitverschwendung und destruktiv ist, sich mit solchen ideologischen Randthemen zu beschäftigen wie Sozialismus, Kommunismus und Gender-Debatte!!

Viele Brasilianer haben Bolsonaro gewählt, weil sie irrtümlich glaubten, er würde mit der Korruption im Land aufräumen (inzwischen weiß man, dass sein Familienclan selbst viel Dreck am Stecken hat), wieder für mehr Sicherheit in den Städten sorgen (das Gegenteil ist bisher der Fall) und der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen.

Abgesehen von den unverbesserlichen totalen Realitätsverweigerern dämmert es immerhin inzwischen vielen seiner Wähler, dass sie den Beelzebub mit dem Teufel ausgetrieben haben.

Wem soll man da noch vertrauen?

Wo soll das alles hinführen?

Es ist eine große Bewährungsprobe für die junge Demokratie in Brasilien.

Jetzt muss sich zeigen, wie widerstandsfähig ihre Institutionen sind, vor allem der Oberste Gerichtshof STF und die Justiz. (Das Parlament ist so ein wilder und gemischter Haufen, dass es als Stabilitätsfaktor ausfällt)

Die Medien und die Wissenschaft sind hier wie dort in der Defensive, werden von den Rechten als FakeNews und manipulativ/sozialistisch diskreditiert, kämpfen wie in Europa und den USA mit einer Glaubwürdigkeitskrise (die größtenteils bewusst von den Rechten angefeuert wird, um das Volk zu verwirren).

Das ist keine gute Gemengelage, zumal weit und breit niemand zu sehen ist, der Brasilien aus dieser Misere führen könnte.

Wird Brasilien also wieder einmal bloß ein „Land der Zukunft“ bleiben? Ein unerfüllter Traum?

Die Zukunft wird’s zeigen…

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