Wieso ich nicht zur WM 2014 nach Brasilien fliege

Nur noch sieben Tage: Dann ist Anstoß im Eröffnungsspiel der FIFA Fussball-WM 2014 zwischen Gastgeber Brasilien und Gruppengegner Kroatien in der Arena Corinthians von São Paulo. Von jemandem, der wie ich seit seit drei Jahren (plus wenige Tage) die Vorbereitungen zu diesem größten Sport-Event auf unserem Planeten intensiv verfolgt hat, dürfte man annehmen, dass er vor Ort sein wird. Das war auch mein ursprünglicher Plan. Erstens kommt es aber immer anders, und zweitens als man denkt…

Tatsächlich war ich im Verlauf des vergangenen Jahres in engem Kontakt mit einem der großen, übertragenden Sender, um zum Team der Mitarbeiter vor Ort zu gehören. Dank meiner kontinuierlichen und kompetenten Berichterstattung in meinem Blog hatte ich sogar eine Empfehlung des Brasilien-Korrespondenten desselben Senders in der Tasche und ging fest davon aus, dass es zu einer Zusammenarbeit kommen würde.

Anfang diesen Jahres kam dann die überraschende Absage, natürlich ohne jede Begründung. Offenbar schickt man lieber die im Hause bewährten und bekannten Kräfte, auch wenn sie die Landessprache nicht sprechen und das Land nur vom Hörensagen her kennen.

Das musste erst einmal verdaut werden. Da auch bei anderen etablierten Medien die Planungen inzwischen so weit gediehen waren, dass es für eine Aufnahme ins Berichterstatter-Team zu spät war, trug ich mich kurzfristig mit dem Gedanken, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten.

Auf krautreporter.de sah ich, dass ein Jungjournalist das von ihm (sehr knapp) kalkulierte Kapital nicht nur zusammenbekommen hatte, sondern es sogar übertraf. Zwei engagierte Jung-Dokumentarfilmer starteten zur gleichen Zeit auf startnext eine ambitioniertere Crowdfunding-Kampagne, die aber nicht den erhofften Erfolg brachte. Von den gewünschten 8000 EURO kamen bis zum Ende vor wenigen Tagen gerade Mal 617 zusammen.

Ich sah beide Kampagnen durchaus skeptisch. So gut die Idee ist, die WM und das Land Brasilien von einem anderen Blickwinkel als die etablierten Medien betrachten zu wollen, so hielt und halte ich die Realisierung vor Ort für problematisch.

Es ist üblich, bei Crowdfunding-Kampagnen den Geldgebern je nach Spendenhöhe Prämien/Geschenke als Dankeschön anzubieten. Darüber hinaus muss man einen klaren Plan entwickeln, Ziele formulieren, das Budget kalkulieren, ein Pitch-Video erstellen, in dem möglichst überzeugend die Idee präsentiert und begründet wird.

Das ist grundsätzlich auch völlig in Ordnung und berechtigt. Schließlich wollen die Geldgeber wissen, was mit ihrem Geld geschieht und was sie dafür bekommen.

Angesichts meiner Erfahrungen, die ich bei meinen zahlreichen Reisen in den vergangenen Jahren gemacht habe und der speziellen Umstände, die bei einem solchen Groß-Event wie der WM in Brasilien zu erwarten sind, erschien es mir aber sehr riskant, den Spendern so klare Versprechungen machen zu können.

Schon die etablierten und bei der FIFA akkreditierten Journalisten werden die Unzulänglichkeiten der brasilianischen IT- und Verkehrsinfrastruktur zu spüren bekommen. Wer auf die für Otto Normalverbraucher verfügbaren Strukturen angewiesen ist, wird erst recht das Nachsehen haben und mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben.

Was wäre, wenn ich meine Versprechen an die Spender am Ende nicht erfüllen könnte?

Es ist auch nicht meine Art und speziell für Brasilien auch nicht empfehlenswert, einem abgesteckten Reiseplan zu folgen. Vor Ort entwickeln sich die Dinge immer anders als man denkt.

Keine meiner Brasilienreisen ist je so verlaufen, wie ich sie mir vorher ausgemalt habe. Und gerade deswegen war jede auf ihre Art speziell und außergewöhnlich. Sich dieser Spontanität, die auf der Intuition und dem Geschehen vor Ort beruht, zu berauben, wäre geradezu sträflich.

Last but not least: Wenn ich vor Ort bin, möchte ich meine Zeit und meine Gedanken auf die Arbeit konzentrieren und nicht mit der Erfüllung und Besorgung von Prämien und Dankeschöns belasten, so gern ich es auch täte. Man ist genug damit beschäftigt, seine eigentliche Arbeit zu machen, zu organisieren und Alltagswidrigkeiten zu lösen.

Ich hakte diesen Gedanken nach Abwägung aller Chancen und Risiken also wieder ab.

Und bin froh darüber, dass alles so gekommen ist.

Ich reise liebend gern nach Brasilien. Und ein so einmaliges Ereignis wie eine Fussball-WM ausgerechnet in diesem eigentlich so fussballverrückten Land zu erleben, hätte normalerweise einen großen Reiz.

Aber so wie die Dinge laufen, erwarte ich ein heilloses Chaos. Alles, was Brasilien an Negativem zu bieten hat (Chaos, Gewalt, überlastete IT- und Verkehrsinfrastruktur), dürfte sich während der WM ins Unermessliche steigern und einen zur Verzweiflung treiben.

Ich muss auch nicht vor Ort sein, um mir ein Bild von der Lage zu machen. Dank meines großen Netzwerkes an Brasilianern und Brasilienkennern vor Ort und außerhalb Brasiliens, in den Sozialen Netzwerken Facebook, Twitter und Xing, dank meiner stabilen Internetverbindung und meines TV-Anschlusses bekomme ich zuverlässig alle Informationen, die ich brauche.

Die WM von Berlin aus zu verfolgen ist bei Weitem Nerven und Geldbeutel schonender als in Brasilien. Beim Public Viewing bei (hoffentlich) sommerlichen Temperaturen werden positive Erinnerungen an das WM-Märchen in Deutschland 2006 wach. Ich brauche mir keine Sorgen um meine Sicherheit zu machen, kann nachts unbehelligt hach Hause kommen oder zusammen mit meinen Kindern, brasilianischen und deutschen Freunden einen entspannten und fröhlichen Grillabend vor dem Fernseher erleben.

Ich beneide die Leute nicht, die sich auf den Weg nach Brasilien machen oder gemacht haben. Keiner meiner zahlreichen brasilianischen Freunde und Bekannten fliegt zur WM nach Brasilien. Eine gute Freundin, die seit Jahresanfang bei Salvador da Bahia ist und eigentlich bis nach der WM dort bleiben wollte, hat sogar schon ihren Rückflug vorverlegt, weil sie die Lage vor Ort unerträglich findet.

Eine andere war gerade aus beruflichen Gründen in Goiânia im Zentralen Mittelwesten. Und obwohl die Hauptstadt des Bundesstaates Goiás nicht zu den WM-Austragungsorten gehört, empfand sie die Lage vor Ort als sehr bedrohlich. Sie sagte, noch nie soviel Angst gehabt zu haben, auf die Straße zu gehen, wie dieses Mal.

Wir werden die WM also aus sicherer Entfernung verfolgen.

Und froh sein, wenn der ganze Trubel in Brasilien vorbei ist. Um anschließend wieder sorgenfreier dort hin zu reisen, wenn die Scherbenhaufen weggekehrt sind…

Aus beruflicher Sicht bin ich hier auch besser aufgehoben. Schließlich werden auch hierzulande Brasilien-Experten gebraucht, welche die Geschehnisse vor Ort einordnen können. Und je mehr die Technik in Brasilien versagen sollte, desto unentbehrlicher werden sie sein.

Mich haben bereits die ersten Anfragen erreicht.

So bin ich am Tag des Eröffnungsspiels (kommenden Donnerstag, 12. Juni) als Tagesgast in die Frühstückssendung Leichter Leben – Zeit für mich (09:00 – 10:00 Uhr) auf AstroTV geladen und werde in der Live-Sendung Gelegenheit haben, meine Sicht der Dinge darzustellen.

Wer keine Zeit hat oder den Sender nicht empfangen kann – trotz der technischen Reichweite von 38 Millionen – braucht sich nicht zu grämen. Ich werde so bald wie möglich einen Sendemitschnitt auf meinem YouTube-Kanal parabenstv hochladen und in diesem Blog einbetten.

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