Wie ich den 11. September erlebte


Der 11. September 2001 ist so ein Datum, bei dem jeder sich erinnern kann, was er an dem Tag gemacht hat. Ich umso mehr, als ich zu der Zeit Redakteur beim TV-Nachrichtensender N24 (heute Welt) in Berlin war.

(Diesen Artikel habe ich zehn Jahre danach geschrieben, aber nicht veröffentlicht, wie ich heute festgestellt habe, warum auch immer.)

Ich hatte an diesem Tag Frühdienst, d.h. ich hatte meinen Dienst um 5 Uhr morgens begonnen und er endete um 13:30 Uhr. Es war ein nerviger Tag. Eigentlich war nix los, aber man musste ja irgendwie die Sendeflächen füllen und der zuständige Chef vom Dienst nervte mit immer neuen Aufträgen über irgendwelche Non-Events, um für Abwechslung im Programm zu sorgen.

Zwei Kolleginnen, die mit mir zusammen Dienst hatten, waren genau so genervt wie ich und am Ende froh, als die Schicht zu Ende war. Wir beschlossen spontan, uns etwas Gutes zu tun und gingen bei einem bekannten Italiener in der Kochstraße essen.

Gut gelaunt und aufgeräumt verabschiedeten wir uns schließlich voneinander und machten uns auf den Heimweg.

Die Nachrichten aus dem Radio klingen völlig irreal

Ich war damals Single und erst kurz zuvor umgezogen. Ich hatte noch keinen Fernseher sondern nur Radio in der Wohnung. Müde vom frühen Aufstehen legte ich mich zu Hause erst einmal hin und schlief auch gleich ein.

Kurz vor 16 Uhr wachte ich auf und stellte das Radio an. Noch halb im Schlaf vernahm ich auf Radio Eins die Stimme eines Moderators, der etwas von Flugzeugen erzählte, die in New Yorker Hochhäuser stürzten und ankündigte, dass es gleich mehr dazu gebe.

Mein verschlafener Geist versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Flugzeuge, die in Hochhäuser stürzen? Ging es um einen neuen Hollywood-Film mit Spezialeffekten, der hier angekündigt wurde? Es klang zu irreal, um real zu sein.

Aber die Neugier war geweckt und ich wartete gespannt auf die 16-Uhr-Nachrichten. Und Tatsache: Es war Realität, keine Fiktion. Trotzdem musste ich an Wolfgang Menges Das Millionenspiel denken und an Orson Welles‘ Krieg der Welten. Sollte das ein neuer Versuch sein, die Zuhörer an der Nase herumzuführen und auszuprobieren, wie gutgläubig und medienhörig wir Menschen immer noch sind?

Sollte das aber alles wahr sein, dann wäre das ein ungeheurer Vorgang und ich wollte unbedingt die Bilder dazu sehen, um die Geschichte glauben zu können.

Ich rief eine Tante von mir an, die am Rande von Berlin wohnt, fragte, ob sie schon von den Ereignissen in New York gehört hatte. Hatte sie, und ihr Sohn, mein Cousin, saß auch schon gebannt vor dem Fernseher, wo alles live gezeigt wurde.

Ich machte mich schnell fertig und brach sofort mit der U-Bahn zu ihr auf, um mich ebenfalls vor die Glotze zu setzen.

In der U-Bahn herrschte überwiegend ratloses oder betroffenes Schweigen. An der Eberswalder Straße stieg ein Punk ein, der lauthals seine Genugtuung über den Anschlag ausdrückte: Das geschehe den scheiß Amis recht!

Unfassbare Bilder im TV

Bei der Tante eingetroffen, setzte ich mich gleich vor den Fernseher, sah die Bilder von den rauchenden WTC-Türmen, die Wiederholungen von den Einschlägen der beiden Flugzeuge. Es war monströs, unfassbar.

In der Redaktion musste jetzt die Hölle los sein. Bei einem solchen Ereignis müssen alle verfügbaren Kräfte mobilisiert werden, eine Hand in die andere greifen, laufend Updates produziert werden.

Sollte ich anrufen und meine Dienste anbieten, obwohl ich schon eine ganze Schicht hinter mir hatte? Würde ich wirklich gebraucht werden? Schließlich war die Redaktion um diese Zeit sehr gut besetzt, weil ja auch die Kollegen, welche die Hauptnachrichtensendungen des Abends machten, da waren. Ich konnte ja am Fernseher verfolgen, wie sie ihre Arbeit machten. Und sie machten sie grandios. Angesichts der im Vergleich zu ARD und ZDF geringen Mittel lief es absolut rund: Man bekam die aktuellsten Bilder und Infos direkt und live dargereicht.

Alle Kanäle kannten nur noch ein Programm. CNN war natürlich ganz vorne weg. Aber als deutscher TV-Journalist wollte ich vor allem wissen, wie die deutschen TV-Sender sich schlugen. Uli Wickert und die ARD waren eine Katastrophe: Völlig wirr, unkoordiniert, überfordert, hilflos. Auch das ZDF konnte mich nicht fesseln.

RTL dagegen machte einen guten Job.

Letztlich blieb ich aber bei meinem Haussender N24 hängen. Der damals erst seit Kurzem zur ProSieben-Gruppe gehörende Sender Sat.1 hatte die N24-Berichterstattung übernommen, genauso wie alle anderen Kanäle der Gruppe: N24 lief gefühlt auf allen Kanälen.

Und es packte mich. Die Moderatoren und Reporter fanden den richtigen Ton, behielten den Überblick. Für den damals noch jungen Nachrichtenkanal war es ein großer Achtungserfolg.

Inzwischen hatte mich auch unsere Disponentin angerufen. Es war klar, dass wir jetzt 24 Stunden durchsenden würden. Man hatte mich und einige andere bewusst nicht angerufen, weil für die Nacht und den nächsten Tag eine frische Mannschaft gebraucht wurde, welche die andere ablöst. Die Disponentin bat mich, am nächsten Tag zwei Stunden eher zum Dienst zu kommen.

Immerhin: Nach meiner stundenlangen Fernseh-Session hatte ich einen guten Überblick bekommen, hatte Zeit, das Unglaubliche halbwegs zu verarbeiten, mir ein Bild zu machen, eine Meinung zu bilden.

So stieg ich am 12. September in die Berichterstattung ein, machte in den folgenden Tagen und Wochen unzählige Beiträge über die Rettungs- und Bergungsarbeiten, über die Trauer und Verzweiflung der Hinterbliebenen, über die Täter, die Börsen, die Wirtschaft.

Wie Amerika auf die Anschläge reagierte

Dieser Anschlag war so gewaltig, dass er die Welt in ihren Grundfesten erschütterte.

Es war bewegend, wie die amerikanische Bevölkerung in den ersten Stunden und Tagen reagierte: Wie sich die Menschen umarmten, sich gegenseitig Trost zu spenden suchten, das Unbegreifliche begreifen wollten, wie Feuerwehrleute, Bauarbeiter, Polizisten, Ärzte all ihre Kraft daran setzten, Überlebende zu finden, Tote zu bergen und zu identifizieren.

Es zeigte sich ein zwar tief verwundetes, aber in seiner Trauer vereintes Amerika, das der Welt zeigen wollte, dass man sich von diesen bösartigen Anschlägen nicht brechen lassen wollte. Amerika produzierte Heldengeschichten.

New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani wurde zum Sprachrohr dieser in’s Mark getroffenen Stadt.

Leider drängte sich dann Georg W. Bush immer mehr in den Vordergrund und sann auf Rache.

Und wir TV-Journalisten verfolgten und übertrugen jede noch so belanglose Ansprache oder Rede von ihm in der Erwartung, dass er zum Gegenangriff blasen würde.

Und so geschah es dann auch. Nicht einmal einen Monat nach den Anschlägen auf’s WTC starteten die USA ihren Angriff auf Afghanistan, das als Hort der Al Qaida galt.

Die Armee wurde mobilisiert, der Heimatschutz verschärft, jeder unter Generalverdacht gestellt.

Ground Zero bleibt eine eiternde Wunde

Es war ein Fehler, der Abermilliarden gekostet hat und keinen Sieg und keinen Frieden brachte.

Hätten die USA doch etwas Positives daraus gemacht! Hätten sie doch die Gunst der Stunde genutzt, in sich zu gehen, nach den Ursachen für diese Aggression zu suchen und diese Ursachen abzustellen.

Hätten sie doch so reagiert wie die Norweger nach dem Massaker dieses Unmenschen, dessen Namen ich nicht einmal nennen möchte. Nämlich das zu bekräftigen, was den Kern ihres Selbstverständisses als friedfertige Gesellschaft ausmacht.

Nein, die von Präsident Bush angeführten USA wollten Rache und mit tausendfachem Leid vergelten, was ihnen an Leid widerfahren war.

Und so bleibt Ground Zero auch zehn Jahre nach 9/11 eine eiternde Wunde, die nicht verheilt ist und lange nicht verheilen wird.

Wie ich den 11. September erlebte

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