Tag der Abrechnung

Jeder kennt das aus seinem Alltag, dass einem unbezahlte Rechnungen auf Dauer das Genick brechen können und dass man daher gut beraten ist, seine Rechnungen fristgerecht zu begleichen und nur das auszugeben, was man wirklich hat. Denn wer mit Schulden bezahlt, dem können diese mit der Zeit auch über den Kopf wachsen. Das ist gute alte Kaufmanns-Tradition und -Erfahrung. Der gute Kaufmann weiß mit seinen Mitteln zu haushalten und er verspricht nichts, was er nicht halten kann. Und wenn ihm etwas Unerwartetes dazwischen kommen sollte (Shit happens), dann wird er sich entsprechend anpassen und alles daran setzen, das Versprochene dennoch so bald und so gut wie möglich abzuliefern.
Genauso verhält es sich mit unserem Seelenheil.

Denn wenn man diese Kaufmanns-Allerwelts-Weisheit auf eine Meta-Ebene hebt, dann haben wir Menschen auch in immaterieller Hinsicht Rechnungen und Schulden zu begleichen, die sich im Leben nolens volens auftun und auftürmen.

Ein jeder Mensch ist in die Welt geworfen und sieht sich mit einer persönlichen und allgemeinen Lebenswelt konfrontiert, in der er/sie sich erst einmal orientieren muss. Der Eine (bitte immer alle anderen möglichen Geschlechter dazudenken) wird mit dem Goldenen Löffel geboren, der Andere wächst auf der Müllhalde auf.

Das mag auf den ersten Blick sehr ungerecht sein, aber Kinder fallen ja nicht einfach vom Himmel. Und niemand ist verpflichtet, Kinder in die Welt zu setzen, wenn er/sie nicht einmal zum eigenen Überleben genug hat und dem Kind nicht das bieten kann, was es zum Überleben benötigt. Und damit meine ich keineswegs nur rein materielle Dinge, so überlebenswichtig  sie auch sind. Nicht weniger wichtig sind die immateriellen Werte wie Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Anerkennung.

Erst sie erfüllen einen mit der nötigen Herzenswärme und jenen tiefem Glücksgefühl, das einen stark und widerstandsfähig und gesund macht und erhält.

Wer sein Glück, seine Daseinsberechtigung und sein Selbstbewusstsein allein auf dem schnöden Mammon gründet, der wird früher oder später zwangsläufig vom Leben eines Besseren belehrt werden: denn noch so große Reichtümer werden dir nicht geben, was nur eine einzige helfende Hand dir in der Stunde der Not bieten kann. (Siehe: Michael Schumacher.)

Selbstlose Hilfe.

Die westliche Wohlfahrtsstaaten-Welt hat die Bürger schon viel zu lange in dem wagen Glauben gewogen, dass sich alle großen Lebensrisiken weitestgehend vermeiden und neutralisieren lassen. Die Menschen haben das längst als Erwartungshaltung an den Staat und die Gesellschaft verinnerlicht, dass der sich gefälligst um alles zu kümmern habe: Das Rundum-Sorglos-Paket. Und diejenigen Parteien, egal welcher Couleur, gewinnen  bei Wahlen die meisten Stimmen, die den Bürgern die vielversprechendsten Versprechungen machen, um sie weiter in ihrer behaglichen und trügerischen Sicherheit zu wiegen.

Ich weiß, dass es in Deutschland viele ungelöste Probleme gibt und z.B. die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht – nicht nur eine deutsche Spezialität, sondern ein globales Phänomen.

Und wenn man materiellen Wohlstand und Reichtum zum absoluten und allein gültigen Maßstab erhebt, dann bleibt es nicht aus, dass es über Kurz oder Lang zu großen Verwerfungen kommt:

  1. Weil reich zu sein nur dann gelingt, wenn es andere gibt, die eben nicht so reich sind. Denn wenn alle dasselbe und genauso viel hätten wie alle anderen, dann wäre ja niemand mehr arm oder reich, sondern alle gleich.
  2. Würden alle Erdenbürger über die notwendigen Mittel verfügen, um wie die Reichen und Wohlhabenden zu konsumieren, wären die Ressourcen im Nu aufgebraucht.

In der westlichen Welt – ausgehend von den USA – wurde in den letzten Jahrzehnten eine Wirtschaftsideologie verfolgt und gepredigt, die auf möglichst viel Konsum und materiellem Reichtum basiert, nach dem Motto: Ich konsumiere, also bin ich. Ich muss und soll konsumieren, um dieses auf Konsum basierende System weiter zu füttern und zu erhalten. Und wer nicht die Mittel dazu hat, in dieser sinnlosen und oberflächlichen Art und Weise dem Konsum zu frönen, der gilt als Versager und kann gnadenlos aussortiert oder mit dem Gnadenbrot Hartz-IV auf möglichst niedrigem Level lieblos mit durchgefüttert werden.

Bürger ärmerer Weltregionen bewundern Länder wie Deutschland dafür, dass sie ein solches soziales Netz  bereitstellen und dich auffangen, wenn du im Leben mal auf die Schnauze fällst, was jedem widerfahren kann. In Ländern wie Brasilien fängt dich niemand auf, es sei denn, du hast gute Freunde oder hilfsbereite und -fähige Familienmitglieder.

Der Überlebenskampf ist hier ungleich härter und gnadenloser. Allerdings auch realistischer.

Denn der sich um alles kümmernde Wohlfahrtsstaat hat den Nachteil, dass er die Bürger dazu verleitet, die Verantwortung für ihr eigenes Leben an die Allgemeinheit zu delegieren und sich darauf zu verlassen, dass andere das Kind für einen schon schaukeln werden.

Es ist gut und bewundernswert, wenn eine Gesellschaft es schafft, gewisse Standardrisiken auf möglichst viele Schultern zu verteilen, denn so wird die Last für den Einzelnen geringer. Dennoch ist und bleibt jeder Einzelne am Ende für sein eigenes Leben verantwortlich. Und wenn er/sie Kinder hat, dann auch noch für diese.

Niemand kann sich von seiner individuellen Verantwortung für das eigene Leben freikaufen. Und wenn er es dennoch versucht, dann darf er sich nicht wundern, wenn er eines Tages feststellen muss, dass es immer riskant ist, darauf zu vertrauen, dass andere sich schon um einen kümmern werden. Denn auf Menschen ist leider auf Dauer selten Verlass. Das habe ich in meinen 52 Lebensjahren leider mannigfach erfahren und erleben müssen.

Wohlfahrtsversprechen halten demnach auch nur so lange, wie sie erfüllbar sind und auf einer soliden Basis stehen. Sie sind nicht in Stein gemeißelt und können  jederzeit widerrufen werden. Spätestens von der Realität, wenn eben die Versprechen weit über dem Einlösbaren liegen. Früher oder später kommt der Zahltag. Und es kann nur verteilt werden, was auch tatsächlich da ist. Alles andere sind Illusionen.

Kein Staat auf der Welt kann auf Dauer Garantien für einen allgemeinen Wohlstand geben, denn dafür ist die globale Welt mit viel zu vielen Risiken behaftet, auf die kein Staat alleine Einfluss hat: seien es Bankenkrisen, Naturkatastrophen, Kriege oder sonstige systemische Krisen.

Dann heißt es eh nur noch: Rette sich, wer kann! Friss oder stirb!

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Es gehört daher für mich zur zentralen Aufgabe jeder Pädagogik, den Nachwuchs bestmöglich auf die jeweiligen Herausforderungen des Lebens vorzubereiten und sie Schritt für Schritt in die Selbständigkeit zu führen, die Verantwortung für sich übernimmt und im besten Fall sogar noch für andere, die Unterstützung brauchen.

Der Mensch ist ein soziales Wesen und er ist fast immer und überall auf die Mitmenschen angewiesen, sei er/sie noch so reich. Denn niemand ist in der Lage, komplett für sich allein zu sorgen und auf Dauer ohne das Know-How anderer auszukommen, Kinder und sonstige Schutzbedürftige am wenigsten.

Aber natürlich kann auf Dauer nur derjenige auf die Unterstützung der Anderen rechnen, der selbst auch seinen Beitrag leistet, auf welche Weise auch immer.

Ich habe nichts gegen Reiche – sie ernähren mit ihrem Geld mitunter Legionen – und es wird immer Menschen geben, die ehrgeiziger und erfolgreicher sind als andere.

Denn Erfolg misst sich vor allem daran, inwieweit jemand fähig ist, seine persönlichen Lebenspläne zu verwirklichen und zu realisieren.

Man kann ja von Vielem träumen und sich Vieles wünschen, aber am Ende kommt es darauf an, dass Du auch weißt, welche Ziele realistisch sind und wie du sie am besten erreichst.

Manche sind so anspruchslos und einfach gestrickt, die geben sich mit wenig zufrieden und spüren nicht den geringsten Ehrgeiz, ein Einstein oder Fussball-Gott zu werden.

Andere greifen nach den Sternen und wollen unbedingt die Person sein, die sich an die Spitze ihrer Branche hochgekämpft hat.

Das ist gut. Denn es braucht Menschen, die das scheinbar Unmögliche möglich machen und die vermeintlichen Grenzen des Erreichbaren überschreiten und so die Menschheit als Ganzes voranbringen wollen.

Aber es ist eben falsch, jeden und jede mit unrealistischen Forderungen und Erwartungen unter Druck zu setzen. Ein Mensch, der nicht in seiner Einzigartigkeit und Individualität erkannt, respektiert und gefördert wird, sondern einem allgemeinen Erfolgsdiktat unterworfen wird, wird am Ende Schiffbruch erleiden und unglücklich werden. Nichts ist deprimierender, als Erwartungen erfüllen zu müssen, die man nicht erfüllen kann, weil man andere Talente und Fähigkeiten besitzt. Nur um den anderen zu gefallen.

Nein. Du musst zuallererst dir selbst gefallen. Denn nur mit dir bist du ein Leben lang 24 Stunden am Tag zusammen. Und die Anerkennung von Außen mag zwar deiner Eitelkeit schmeicheln, aber sie ist so flüchtig wie ein Pfurz.

Um dich selbst lieben zu können, musst du aber auch entsprechend handeln und gnadenlos ehrlich zu dir selbst sein und dich stets hinterfragen, ob du aus den unvermeidlichen Herausforderungen des Lebens auch das Beste herausgeholt hast, für dich und für alle anderen Beteiligten.

Wer dagegen stets nur seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt, wird sehr schnell Freunde und Unterstützung verlieren. Denn auf die Schwüre der Anderen kannst du nichts geben. Die Leute ändern ihre Absichten und Meinungen wie ihre Unterwäsche. Prinzipien sind nur solange gütig, wie sie kommod sind und dem eigenen Vorteil nicht im Wege stehen. Wieso sollte man auch Opfer für Leute bringen, die es am Ende eh nicht zu würdigen und zu schätzen wissen und dich nur ausnutzen wollen – auf deine Kosten?

Lebewesen – und Menschen im Besonderen – sind, wenn es hart auf hart kommt, zwangsläufig egoistisch. Nur Wenige würden ihr Leben geben, um ein Anderes zu retten.

Wer allerdings das Wohlergehen seiner Liebsten und Nächsten und der Gemeinschaft  über sich stellt, ist zweifellos mehr zu schätzen und zu würdigen als jemand, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist.

Das ist keineswegs ein Aufruf zu völliger Selbstlosigkeit, dem bei manchen so verschrieenen „Gutmenschentum“. Undank ist der Welten Lohn und man kann es mit dem Helfersyndrom auch übertreiben. Alles hat seine Grenzen, alles hat seinen Preis.

Hier ein gesundes Equilibrium/Gleichgewicht herzustellen zwischen Hilfsbereitschaft auf der einen und berechtigten eigenen Interessen auf der anderen Seite ist eine große Herausforderung, die uns immer wieder vor Entscheidungen stellt und an Grenzen führt.

Equilibrium – Ausgeglichenheit – ist überhaupt der Sinn und Zweck des Lebens:

Ein Gleichgewicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit herzustellen, zwischen Individualität und Gemeinsinn, zwischen Freiheit und Verantwortung, zwischen Nähe und Distanz.

Gerade diejenigen, die selbst am meisten Dreck am Stecken haben, entwickeln eine besondere Vorliebe dafür, ständig über die Fehler der anderen herzuziehen, um sich damit gewissermaßen die Bestätigung dafür zu geben, dass andere ja auch nicht besser sind als man selbst.

Nun ja. Nobody ist perfect, aber es gibt durchaus Unterschiede darin, wie gut oder schlecht Leute ihre eigenen und fremden Ansprüche und Erwartungen erfüllen.

Man sollte also immer und zuallererst vor seiner eigenen Haustür kehren und keinen Illusionen nachhängen.

Eine realistische Selbst- und Welteinschätzung und der zur Verfügung stehenden Optionen bekommt nur derjenige, der entsprechend wach und aufmerksam durch die Welt geht, die geltenden Regeln lernt und beherzigt und entsprechend realistische Prognosen über die Zukunft und die Folgen seines Tuns und den Lauf der Welt anstellen kann. (Antizipation)

Niemand weiß alles, niemand hat die Macht, alleine den Lauf der Welt zu ändern. Vielleicht kann er sie mal etwas in die eine, mal in die andere Richtung bewegen. Aber selbst ein US-Präsident ist auf das Wissen und die Macht anderer angewiesen und ist kein Alleinherrscher über die Welt, so gerne er sich in seiner unermesslichen Hybris auch als solcher sehen mag.

Das ist keine realistische Weltsicht und wird sich früher oder später rächen.

Alles ist Ursache und Wirkung. Und am Ende zahlen wir alle unseren Preis für das, was wir getan bzw. nicht getan haben.

Lebenskünstler wissen genau auf dieser Klaviatur des Lebens zu spielen. Sie durchschauen die Regeln und wissen sie geschickt für ihr eigenes Fortkommen zu nutzen, ohne deswegen andere über’s Ohr hauen zu müssen, zu lügen, zu betrügen, zu stehlen und zu morden. Es sei denn, die Leute wollen belogen werden, was ja auch durchaus der Fall ist.

Es geht auch anders. Mit fairen Mitteln. Respektvoll. Verantwortungsbewusst. Sozial. Auf Augenhöhe.

Wer das schafft, ohne sich allzuviel Schuld aufzuladen und massenweise Leichen im Keller zu stapeln, darf sich wahrlich einen glücklichen Menschen nennen.

Und er wird die Früchte seines Tuns ernten, während die anderen elendig und einsam zugrundegehen.

Verlassen. Vergessen. Verloren. Verstorben.

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