Ruhm, Konsum, Karriere

Man kann von der Bibel ja halten was man mag, aber sie bietet doch eine Vielzahl ewig gültiger Gleichnisse über die Natur des Menschen, der stets der Versuchung (Apfel, Frau) erlag, einen Tanz ums Goldene Kalb zu zelebrieren und minderwertige Götterparodien als Götzen zu verehren. Die Nachkriegszeit hat diesen Trend dank Massenmedien, Marketing, Konsum und Internet zu einer regelrechten Epidemie ausarten lassen. Und die Menschheit damit an die Schwelle der Selbstvernichtung geführt.

Die von der 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg angestoßene FridaysForFuture-Bewegung ist derzeit die gewaltigste und breiteste, die sich gegen diese Marktideologie auflehnt, welche den hemmungslosen Konsum zelebriert, als sei es das erstrebenswerteste Ziel eines glücklichen und erfüllten Lebens.

Die Klimaaktivisten rütteln an den Grundfesten unserer westlichen, globalisierten Gesellschaft. Denn konsequente Klimaschutzpolitik bedeutet zwangsläufig, die Grundlagen unseres Handelns und Wirtschaftens und unserer Lebensentwürfe zu hinterfragen – und radikal zu ändern!

Der vielleicht wichtigste Trend der vergangenen Jahrzehnte, der sich von den westlichen Industriestaaten über die ganze Welt ausbreitete, dürfte die nahezu vollständige Kommerzialisierung aller Lebensbereiche sein.

Allein der Blick in die Geschichte des Fussballs zeigt, wie sehr allein diese Sportart sich vom anspruchslosen Amateurstatus zu einer riesigen Marketingmaschine entwickelt hat, die Superhelden am laufenden Band produziert – und verbrennt.

Die ehemaligen DDR-Bürger mussten nach dem Mauerfall erfahren, dass der westliche Arbeitsmarkt eine ähnlich professionelle Selbstvermarktung des Individuums verlangt, in der das Klappern wichtiger ist als das Handwerk. Der gesamte Arbeitsmarkt funktioniert nach diesem Prinzip der Selbst-Optimierung, der Selbst-Vermarktung – der Selbst-Verwirklichung oder Selbst-Vernichtung.

Entweder Du verschreibst Dich mit Haut und Haaren der herrschenden Markt-Ideologie, wirst also zur opportunistischen, immer Ja-sagenden System-Nutte, oder Du bist raus aus dem Spiel nach dem Motto: Kann weg!

Leistungsträger muss man sein! Karriere muss man machen! Viel Geld muss man verdienen! Damit man alles das konsumieren kann, was diese auf materiellem Konsum aufgebaute Gesellschaft an sinnloser Überproduktion zu bieten hat!

Der Bürger definiert sich heute nicht als homo politicus in einer auf Recht und Gesetz basierten demokratischen Gesellschaft. Der Bürger ist längst auf seine ökonomische Funktion als Konsument reduziert. Damit er konsumieren kann, muss er allerdings zwangsläufig auch das Geld dafür haben. Also braucht er ein Einkommen. Und wenn er nicht qua Geburt schon eins ererbt hat, muss er sich nolens volens den Regeln der Erwerbstätigkeit unterwerfen.

Der Konsum, der materielle Reichtum sind der einzige Lebenszweck, der als gültig und Anerkennung verdienend angesehen wird.

Kinder sollen schon früh für die Anforderungen der Arbeitswelt da draußen fit gemacht werden, und diese Anforderungen steigen ins Unermessliche: Kinder sollen bei Eintritt in die Grundschule schon fehlerfrei die Landessprache beherrschen, selbst wenn sie anderer Herkunft sind. Und am besten noch eine weitere dazu, eine wichtige internationale Verkehrssprache möglichst, wie Englisch oder Chinesisch. Natürlich müssen die Kinder Abitur machen, am besten auf einer Elite-Schule, und der weitere Lebensweg muss einer geradlinigen Paradestraße gleichen, die von einem Höhepunkt zum anderen schwebt und natürlich in einer allseits anerkannten und angesehen hohen Position (Präsident, CEO, Bundestrainer, Gott) mündet. Versorgt, abgesichert, von allen materiellen Sorgen befreit.

Da nicht jeder „Karriere“ machen kann, weil man ja nur Chef sein kann, wenn man auch möglichst viele Leute unter sich hat, versinken die Zurückgebliebenen und Abgehängten und Unterprivilegierten zwangsläufig in Frust und verlieren ihr Selbstwertgefühl.

Es sei denn sie entziehen und verweigern sich dieser vorherrschenden Ideologie, die den Wert eines Menschen allein an seinem materiellen Besitz und seiner gesellschaftlichen Position bemisst.

Wer sich dieser Ideologie dagegen mit Haut und Haaren unterwirft, wird irgendwann feststellen, dass er/sie deswegen am Ende nicht unbedingt glücklicher geworden ist. Sofern man nicht mit dem Goldenen Löffel aufgewachsen ist, bedeutet Karrieremachen ja zuallererst mal viel Stress, Kampf, Anstrengung. Der Weg nach oben ist steinig und schwer und  niemand kommt am Gipfel an, ohne eine unüberschaubare Menge an Leichen im Keller zu hinterlassen.

Das hat schon was von Scientology, wie diese bürgerlich-kapitalistische Ideologie sich global so ausbreiten konnte, dass selbst einst oder noch  „kommunistische“ Länder wie Russland und China sich dieses globale Konzept des ökonomischen Wettbewerbs  zu eigen gemacht haben.

Seit Jahrzehnten geht es nur noch um „die Märkte“, was „die Märkte“ dazu sagen, wie „die Märkte“ auf etwas reagieren, welche Folgen etwas „für die Märkte“ hat!

Womit vor allem die Finanzmärkte, die Banken, Versicherungen und Börsen gemeint sind. Sie können ganze Regionen boomen lassen und Länder in den Abgrund treiben. Sie treiben die Politik vor sich her, denn gegen die Macht der Märkte kann selbst der mächtigste US-Präsident nicht anstinken (auch wenn die USA für die Märkte von so zentraler, ökonomischer Bedeutung sind, dass sie wohl als Letztes vor die Hunde gehen würden…)

Die USA hatten in den Jahrzehnten nach dem II. Weltkrieg einen ungeheuer erfolgreichen Lauf damit, ihre Wirtschaftsphilosophie des freien Warenhandels, des grenzenlosen Wachstums und Konsums in die ganze Welt zu tragen als nachahmenswerter American Way of Life.

Inzwischen ist jedoch offensichtlich geworden, dass dieser American Way of Life an den Abgrund geführt hat. Die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe, die exzessive Optimierung der Landwirtschaft, die intensive Technologisierung und Kommerzialisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt hat Verwerfungen hervorgerufen, die zu enormen gesellschaftlichen Spannungen geführt haben.

Solange diese weit weg in als rückständig wahrgenommen Weltregionen geschah, war das der Bevölkerung in den westlichen Gesellschaften herzlich egal (von ein paar effekthaschenden Glamour-Aktionen zur Gewissensberuhigung abgesehen).

Erst jetzt, wo die Folgen dieser rücksichtlosen und gewissenlosen Ausbeutung in Gestalt von Flüchtlingen und Klimaveränderungen vor der eigenen Haustür stehen, wachen die Leute aus ihrer Ignoranz und Gleichgültigkeit auf und geraten geradezu in Panik!

Angesichts dieser Umstände zu der selbstkritischen Erkenntnis zu gelangen, dass man sein ganzes eigenes Leben womöglich auf einem falschen Versprechen und falschen Zielen aufgebaut und ausgerichtet hat, ist natürlich erschütternd. Viele verweigern sich daher dieser Einsicht, weil sie fürchten, dass sie ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht.

Nun denn, Shit happens. Gelegenheiten gab es genug, sich vorher selbstkritisch zu reflektieren und die eigene Lebenseinstellung zu hinterfragen.

Mein Mitleid hält sich auch deswegen in engsten Grenzen, weil diese Leute auch kein Mitleid zeigen, wenn andere diesem Konsum-Karriere-Konzept nicht gewachsen sind oder aus anderen Gründen durch’s Leistungsnetz fallen. Im Gegenteil: Der Spott der anderen ist den „Versagern“ immer gewiss, denn erst, indem man andere „unter sich“ weiß, gewinnen diese Leute ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, sich anderen „überlegen“ zu fühlen.

Viele, sehr viele sind auf dem Weg der konsum- und profitgetriebenen Gesellschaft auf der Strecke geblieben. Und keinen hat’s bisher gekümmert.

Aber jeder zahlt am Ende seinen Preis für sein eigenes Handeln und seine Entscheidungen. Alles hat Ursache und Wirkung. Und wenn man sich mit solchen Themen nie beschäftigt hat und beschäftigen wollte, dann kommt die Veränderung eben sehr hart und „aus heiterem Himmel“.

Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich die Dinge weiter entwickeln werden.

Es könnte hässlich werden, weil die Prediger und Jünger des herrschenden Systems ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen werden, koste es, was es wolle, ohne Rücksicht auf Verluste.

Wenn die Gegenseite, welche eine Veränderung hin zum Miteinander statt Gegeneinander und zu einem gesunden und gerechten Planeten möchte, sich weiter unterdrücken und ausgrenzen lässt, dann wird sie zwangsläufig verlieren.

Das System hat die tödlichsten Waffen auf seiner Seite und wird sie rücksichtslos einsetzen.

Also muss sich die Gegenseite einerseits auf Opfer einstellen müssen, aber auch auf alle denkbaren Formen der Gegengewalt, ob durch zivilen Ungehorsam oder andere Formen des Protestes und Widerstandes, bis hin zu körperlicher Gewalt. (Der Gewaltbegriff ist sehr komplex und diffus und daher interpretationswürdig.)

Körperliche (Waffen-)Gewalt gilt immer als letztes Mittel. Aber da das herrschende System schon längst zu diesem Mittel gegriffen hat, um den Widerstand niederzuknüppeln (wie derzeit in Hongkong, 30 Jahre nach dem Tiananmen-Massaker), ist der gewaltsame Widerstand offenbar unvermeidlich.

Wenn die Gegenseite nicht zu Kompromissen bereit ist und nichts von ihrem Reichtum und ihren Privilegien abgeben will, dann muss es ihnen eben genommen werden.

Das ist NICHT das Ziel der Bewegung. Aber wenn die Eliten nicht zum gerechten Verteilen bereit sind, dann gibt es keinen anderen Weg. Dann muss dieser Kampf eben gewaltsam ausgetragen werden.

Die Staatsmacht verfügt allerdings über gewaltigere Mittel, um das Volk zu unterdrücken. Daher kann dieser Kampf nur am Ende des Weges stehen, wenn das System selbst in sich so instabil geworden ist, dass selbst seine bis dahin loyalsten Mitläufer und Stützen sich abwenden und die Aussichtslosigkeit erkennen, etwas verhindern und aufhalten zu wollen, was nicht aufzuhalten ist – weil sich der Zeitgeist angesichts der veränderten Umstände radikal verändert…

So fiel vor bald 30 Jahren die Berliner Mauer. So brach der Warschauer Pakt zusammen. Weil die Zeit dafür reif geworden war.

Genauso ist es heute, genau dreißig Jahre danach. In Hongkong wird gerade das starre, autokratische China wieder herausgefordert. Und wieder steht diese in der Zwischenzeit enorm gewachsenen Weltmacht vor der entscheidenden Frage, ob sie wieder repressiv reagieren oder doch lieber nachgeben sollte – und statt dessen die bürgerlichen Freiheiten gar auf das ganze Staatsgebiet ausweitet.

Wenn die Bürger langfristig nicht bekommen, was sie wollen, dann bricht jedes System früher oder später zusammen. Veränderung ist ein zwingender Prozess, der dauerhaft nicht aufzuhalten ist. Weil er sich stets auf’s Neue gewaltsam Bahn brechen wird oder das bestehende System wie mit einer Dampfwalze überrollen wird.

Die Meinungsfreiheit ist in unserer globalisierten Welt dank des Internets und Sozialer Medien zum höchsten Gut von allen geworden!

Egal ob Nazi, Sozi, Rechts oder links: Das Recht, offen und ungefährdet seine Meinung sagen zu dürfen, egal wie abwegig sie auch sei, nehmen alle gerne für sich in Anspruch (um es anderen wiederum oft abzusprechen).

So, wie unsere Welt heute funktioniert, ist es für egal welches Unrechtsregime auf Dauer nicht möglich, die Bevölkerung in Schach zu halten! Und das ist gut so. Denn es zwingt die Mächtigen zu mehr Transparenz und Entgegenkommen.

Dieses Konzept der aggressiven, auf Profit und Weltmarktherrschaft getrimmten Ökonomie hat nur zu unzähligen Kriegen, Opfern, Verwerfungen und Ungleichheiten geführt, welche eine enorme politische und ökonomische Instabilität hervorgerufen haben.

Tagtägliche Ereignisse – es reicht ein Tweet des gegenwärtigen US-Präsidenten – sind geeignet, die Börsen weltweit in Unruhe und Aufregung zu versetzen. Und Börsen sind – das habe ich in meiner Zeit als TV-Journalist in einer Börsen- und Wirtschaftsredaktion gelernt – ein sehr guter Seismograph, um die Stimmungslage unter den Eliten, der Politik und der Wirtschaft einzuschätzen. Wie ein EKG.

Für Zocker ist das natürlich herrlich! Je volatiler der Markt, desto größer die Margen (und Verluste…). Wird es allerdings zu stürmisch, bekommt selbst der abgebrühteste Zocker kalte Finger und setzt lieber auf sicherere Häfen und Werte.

Aber was ist schon sicher in dieser von den nervösen Finanzmärkten dominierten Weltwirtschaft!

Nichts.

Außer, dass es immer Gewinner und Verlierer geben wird.

Wer allerdings sein Lebensglück auf die Erfüllung seiner finanziellen und materiellen Träume stellt, der läuft zweifellos Gefahr, eines Tages gewaltigen Schiffbruch zu erleiden…

Wer dagegen schonmal Schiffbruch erlitten hat, der dürfte bereits zu der Erkenntnis gelangt sein, dass erst der Schiffbruch dich an einen Traumstrand verschlagen kann, den du andernfalls nie entdeckt hättest…

Und dass das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde liegt (will sagen: im Einklang mit der Natur), und nicht auf Konsum und Karriere.

Ein Gedanke zu „Ruhm, Konsum, Karriere“

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