Nachklapp zum TV-Duell von Steinbrück gegen Merkel

Dank des „Piratensenders“ Deutschlandfunk, der ohne ausdrückliche Genehmigung der veranstaltenden TV-Sender das „Kanzler-Duell“ übertrug, konnte ich das Aufeinandertreffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück live während einer langen Autofahrt verfolgen. Das hatte den Vorteil, mich auf die Inhalte konzentrieren zu können, ohne von derlei Nichtigkeiten wie der Halskette der Kanzlerin in Deutschlandfarben abgelenkt zu werden.

Der Erkenntnisgewinn war aber nicht unbedingt höher als beim TV-Zuschauer. Beide vermeintlichen Konkurrenten erfüllten die Erwartungen: Die Kanzlerin gab in ihrer wenig emotionalen, muttihaft-beruhigenden Art zu verstehen, dass sie alles im Griff habe, Deutschland stark und das Schicksal des Landes in ihren Händen bestens aufgehoben sei.

Ihr angesichts schlechter Umfragewerte in der Defensive befindlicher Konkurrent Steinbrück bemühte sich, Kante zu zeigen und sich als kompetenter und entscheidungsfreudiger Kandidat zu empfehlen, der den Job besser, weil gerechter und sozialer machen würde als die Amtsinhaberin.

Eigentlich hat die Situation etwas von einem Bewerbungsgespräch. Nur dass in diesem Falle über 17 Millionen Menschen live dabei waren, eine Frau und ein Mann denselben Job haben wollen, wobei die Frau ihn schon hat und nur den Vertrag um vier Jahre verlängert haben möchte.

Befragt wurden sie – schön paritätisch – von zwei Männern und zwei Frauen, die TV-Zuschauer aus dem Fernsehen kennen: Die beiden Frauen (Anne Will und Maybrit Illner) gehören zu den gebührenfinanzierten Sendern ARD und ZDF, wo sie einmal die Woche jeweils eine Talkshow moderieren, die sich meist um politische Themen dreht. Obwohl die Politik ungeniert in die öffentlich-rechtlichen Sender hineinwirkt, halten sich die Moderatorinnen für die Speerspitze des seriösen, unabhängigen Journalismus.

Die Männer kommen vom werbefinanzierten Privatfernsehen. Peter Kloeppel moderiert seit gefühlten Ewigkeiten sehr solide die Hauptnachrichtensendung von RTL und ist zugleich Chefredakteur des Senders. Stefan Raab ist das Aushängeschild des an unpolitischen Jugendlichen orientierten Senders ProSieben, wo er überwiegend Unterhaltungssendungen präsentiert. Raab – im Hauptberuf erfolgreicher Musikproduzent – ist für seine freche Schnauze bekannt und fiel aus dem üblichen Rahmen eines solchen Formats.

Dass die ProSiebenSat.1 Media AG ausgerechnet Herrn Raab als Moderator in die Runde schicken würde, sorgte daher im Vorfeld bei Politik und Medien für Erstaunen und Aufregung. Da die Moderation eines Kanzlerduells gewissermaßen die Kür in der Karriere eines politischen Journalisten ist, fühlten sich die öffentlich-rechtlichen Repräsentaten in ihrer Bedeutungshaftigkeit degradiert, wenn plötzlich so’n Unterhaltungskünstler mitmischt. Es tat der Sache aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Flappsigkeit von Raab lockerte die staatstragende und bedeutungsschwangere Atmosphäre der Runde etwas auf und lockte mehr junge Zuschauer an, die sich sonst niemals für eine solche Sendung interessiert hätten.

Zurecht. Wer der Kanzlerin lauschte und Herrn Steinbrücks Einlassungen verstand, der konnte am Ende nicht umhin sich zu fragen, wo denn der große Unterschied zwischen den beiden Kandidaten liegt, vom Äußeren und dem Temperament mal abgesehen.

Polterte ein Helmuth Kohl früher unbeherrscht herum, wenn ihm einer Widerworte gab und er einen Sozen (SPDler) auch nur von Weitem sah, ließ sich die Kanzlerin nicht aus der Ruhe bringen, gab ihrem Herausforderer sogar gelegentlich recht und erkannte das staatstragende Verantwortungsbewusstsein der SPD in der Euro-Frage an.

Unterschiede zeigten sich lediglich in Details, die ein politisch nur oberflächlich informierter und interessierter Mensch kaum nachverfolgen kann.

So verfestigte sich der Eindruck, dass die beiden „Gegner“ sich gegenseitig respektieren und eigentlich ganz gut miteinander können (was grundsätzlich ja nichts Schlimmes ist). So gipfelte das wenig aufregende Duell in der Frage von Stefan Raab an Herrn Steinbrück, wen er denn wählen solle, wenn er Steinbrück „cool“ finde und gleichzeitig für eine Große Koalition von SPD und Union sei, der sich der Kandidat aber verschließe.

Steinbrücks Antwort war mehr strategischer als inhaltlicher Art: Er spiele halt auf Sieg und nicht auf Unterordnung. Dass sich grundlegend etwas ändern würde, wenn die SPD den Kanzler stellt, ließ diese Antwort nicht erkennen.

So dürfte kaum eine Wechselstimmung aufkommen. Die SPD steuert keinen grundsätzlich anderen Kurs an. Der scheint in der laut Umfragen überwiegend zufriedenen Wählerschaft auch gar nicht erwünscht zu sein.

Deutschland steht im Vergleich zu anderen Ländern Europas und der Welt verhältnismäßig gut da. Ob dies nun Angela Merkels Verdienst ist, sei dahingestellt. Aber es nützt ihr.

Wer dagegen an den Rand der Gesellschaft gedrängt ist, der glaubt den Politikern sowieso kein Wort mehr und wird – wenn überhaupt – höchstens radikaleren Parteien seine Stimme geben.

Wer nach einem Jahr Arbeitslosigkeit keinen Job gefunden hat, der bekommt mit aller Gewalt die existenzgefärdenden „Segnungen“ der Schröderschen Agenda 2010 zu spüren und hat für Union, FDP, SPD und Grüne eh nichts mehr übrig, schließlich haben diese Parteien die Reform getragen bzw. fortgeführt.

Und beim Thema Euro bekennen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken zur Gemeinschaftswährung. Wer nach all den Rettungsschirmen für Banken und Staaten erhebliche Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Euro hat, der fühlt sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen. Diese Frage wird gar nicht diskutiert. Eine ernsthafte, tabufreie Auseinandersetzung findet nicht statt.

Die steigende Zahl überzeugter Nichtwähler dürfte keinen Anlass sehen, diesmal anders zu handeln und zur Wahlurne zu gehen.

Das ist bedauerlich. Schließlich lebt Demokratie von der möglichst breiten Beteiligung der Bevölkerung. Je kleiner aber diese Basis ist, desto weniger spiegelt das Wahlergebnis das Meinungsbild der Bevölkerung wider, desto weniger wird sich das Volk von den gewählten Vertretern repräsentiert fühlen und die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu.

Ich plädiere daher für eine Wahlpflicht, wie sie z.B. in Brasilien der Fall ist. Jeder Wahlberechtigte soll eine Wahl treffen müssen – und sei es, dass er den Wahlzettel in der Kabine ungültig macht. Aber er sollte dazu genötigt werden, als Staatsbürger einer Demokratie wenigstens in regelmäßigen Abständen eine Wahl zu treffen und sich zu bekennen – fällt es auch noch so schwer.

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