Lieber, verehrter Stefan Zweig!

Habe gestern das Haus in Petrópolis besucht, in dem Sie mit Ihrer Frau Lotte Ihr letztes Refugium gefunden haben, bevor Sie gemeinsam aus freiem Willen aus dem Leben schieden. Der Besuch in Ihrem Haus hat mich tief berührt.

Einige treue und sehr engagierte Anhänger und Verehrer haben viel Zeit, Geld und Mühe aufgewendet, um hier einen Ort der Erinnerung zu schaffen: An einen Schriftsteller, der die Welt mit wunderbaren Werken beschenkt hat, voller Hingabe, Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Einfühlungsvermögen, Lebendigkeit und Sprachgefühl.

Hier in diesem von Ihnen angemieteten Haus haben Sie die Schachnovelle geschrieben und Ihrer Autobiografie den letzten Schliff gegeben. Sie liebten die Ruhe hier, den weiten Blick von der offenen Terrasse in das satte, tropische Grün der Berge von Petrópolis.

Als Sie mit Lotte dieses Haus nach langen Jahren heimatlosen Wanderns bezogen, freuten Sie sich, nun dauerhaft die Koffer auspacken zu können.

Sie liebten dieses Land und seine Menschen zutiefst und errichteten ihnen mit dem Buch Brasilien – Ein Land der Zukunft ein Denkmal. Dieser Beiname ist zum geflügelten Wort geworden und gleichermaßen eine nicht erfüllte Prophezeiung. Wird Brasilien ewig das Land der Zukunft bleiben, ein Land der unerfüllten Hoffnungen und Erwartungen? Wann wird diese leuchtende Zukunft endlich Gegenwart?

Als das Buch 1941 erschien, wurde es in der brasilianischen Öffentlichkeit verrissen. Man unterstellte Ihnen, bezahlte Werbung im Auftrag der Regierung zu betreiben. Wie verletzt und irritiert müssen Sie ob dieser Missachtung gewesen sein, ein jüdischer Schriftsteller, dessen Werke von den Nazis verbrannt worden waren. Dennoch konnte das Ihre Liebe zu diesem Land nicht trüben.

Das Museum, das Ihnen zu Ehren nach langer, mühevoller Vorbereitung nun endlich vor nicht einmal einem Jahr in Ihrer letzten Wohnstätte errichtet worden ist, stellt verständlicherweise Ihr Brasilien-Buch in den Mittelpunkt.

In den Vitrinen finden sich einige Ihrer Habseligkeiten, die Ausgaben mehrerer Werke in verschiedenen Sprachen sowie ein Abguss Ihrer Totenmaske.

Auf verschiedenen Monitoren kann man Passagen Ihres Brasilien-Buches lesen (auf Portugiesisch), die Geschichten über andere Exilanten aus Europa erfahren, Videos über Ihre letzten Lebensmonate in Petrópolis sehen sowie ein Interview mit Ihrem brasilianischen Biografen Alberto Dines und spiritus rector der Ausstellung.

In dem Zimmer, in dem Sie und Ihre Frau sich in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1942 mit einer Überdosis Veronal das Leben nahmen, ist eine große Tafel an der Wand angebracht mit der Declaração, die Sie vor Ihrem Freitod handschriftlich verfasst haben. Folgendes haben Sie geschrieben:

Ehe ich aus freiem Willen und klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.

Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.

Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe Ihnen voraus.

Stefan Zweig

Petrópolis 22. II 1942

Anschließend habe ich das Grab auf dem Cemitério Municipal in Petrópolis aufgesucht, in dem Sie und Ihre gerade mal 33 Jahre alte Frau Ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Was war das für eine zerstörerische, gnadenlose Zeit, in der Sie lebten, in der selbst ein so wundervolles Land wie Brasilien Ihnen nicht mehr genügend Kraft, Hoffnung und Lebensmut geben konnte.

Ihr Freitod war der verzweifelte Akt eines Menschen, der sich noch einen letzten Rest an Würde und Freiheit bewahren wollte in einer gnadenlosen Zeit. Ich hoffe, Sie haben im Jenseits einen besseren Ort gefunden.

Ich bin dankbar, dass uns Nachgeborenen wenigstens Ihre großartigen Werke erhalten geblieben sind und Sie ein leuchtendes Beispiel bleiben an Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit.

(Fotos gibt es auf meiner Facebook-Seite.)

Abstecher nach Petrópolis und Rio de Janeiro

8 Gedanken zu „Lieber, verehrter Stefan Zweig!“

  1. ein wunderbarer bericht von ihnen.bin selbst seit meiner schulzeit verehrer seiner werke.habe ca.400 buecher und andere schriften von ihm.war auch vor seinem haus in salzburg.meine erstausgaben sowie autographen von ihm habe ich leider aus finaz.gruenden verkauft-ueber die galerie gerda bassenge in berlin-.mein traum war es immer einmal,nach petropolis zu fliegen.aus kostengruenden leider nie realisiert.habe auch noch ca.90 buecher in allen moeglichren sprachen.
    gruss
    wolfgang hiekmann,z.z in thailand

    1. Danke Herr Hiekmann, freut mich, dass Ihnen der Bericht gefällt. So Gott will, werden Sie eines Tages noch nach Brasilien kommen und das letzte Refugium von Stefan Zweig besuchen können.

      1. Sehr herzlichen Dank für die bewegenden Worte Ihres Berichtes und die wunderbaren Bilder. Wie wenig brauchte dieser Ästhet Zweig doch am Ende, – wie groß muß seine Not gewesen sein. Aber, Sie sagen es, seine Worte bleiben, für mich besonders die Bücher gegen die Gewalt, Unterdrückung, Ausgrenzung: Erasmus, Fouché und Castellio…

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