Journalismus im Zeitalter des Internet

Ich bin 51 Jahre alt und habe die meiste Zeit meines Lebens „was mit Medien“ gemacht: als Gymnasiast war ich erst Autor und dann „Chefredakteur“ der Schülerzeitung Luzifer am Nicolaus-Cusanus-Gymnasium in Bergisch Gladbach, fing an, für die beiden Lokalzeitungen von Schäbbisch Gläbbisch Kultur-Kritiken zu schreiben, machte bei einer von beiden in den Sommerferien ein Praktikum und bekam so einen Eindruck davon, was es in den 80er Jahren bedeutete, für eine Lokalzeitung zu arbeiten.

Die Redakteure waren fest angestellt, hatten einen spannenden, gut bezahlten und sicheren Job, weil sie den ganzen Tag unterwegs waren, Hinz und Kunz kannten und ihre Alltagsgeschichten publizierten, von Vereinen, Lokalpolitik, Kulturveranstaltungen, Wirtschaft.

Da es noch kein Internet gab, war die Lokalzeitung das einzige übergreifende und verlässliche Medium, in dem man die Informationen fand, die man in seinem unmittelbaren Wohnumfeld wollte und/oder brauchte. Die Zeitungen verdienten den wesentlichen Teil ihres Geldes mit der Werbung lokaler Unternehmen, die in der Zeitung erschien und für die auf Werbung angewiesenen Unternehmen und Dienstleister der beste Weg war, viele Leute zu erreichen.

Wenn man das so liest, fällt einem auf, wie sehr sich die Welt in der Zwischenzeit verändert hat. Abgesehen von der Zeitung und Zeitschrift gab es natürlich schon Radio und Fernsehen. Da ich eine gute Stimme hatte und gerne Radio hörte, träumte ich davon, ein Radiojournalist zu werden. Für mich und meine Familie und Freunde produzierte ich zuhause auf Kassettenrekorder meine eigene Radiosendung, mit lustigen Wortbeiträgen und Musik, überwiegend von den Beatles.

Beim Radio zu arbeiten war noch angesehener und besser bezahlt als Zeitung. Zeitungen zahlten schon damals für Freie ein Zeilengeld. Man musste also schon ordentlich in die Schreibmaschine kloppen, um auf ein zufriedenstellendes Salär zu kommen, war aber im Rahmen des Machbaren. Bedarf gab es genug.

Beim Radio konnte man mit dem Ton spielen und experimentieren, hatte es mit moderner, fortschrittlicher Technik zu tun und an jeder Stelle einen angestellten Profi sitzen. Abgesehen von den Gebühren für das öffentlich-rechtliche System spülte die Werbung auch hier eine Menge Geld ins System.

Mit der Einführung des Privatfernsehens unter CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl trat ein Player auf die Bühne, der das elektronische Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten untergrub, sie in die Defensive katapultierte und die Werbeströme in seine Richtung lenkte.

Wie das Schicksal es so wollte, landete ich als Germanistik-Student in Köln bei den sehr begehrten zweimonatigen Programm-Hospitanzen des WDR nicht wie gewünscht beim Radio, sondern beim Fernsehen. Da die Gastredaktionen den Auserwählten alphabetisch zugeordnet wurden, waren meine Wunschredaktionen schon vergeben, als die Reihe an mich kam. Die zuständige Programm-Redaktion bot mir die gerade erst aus der Taufe gehobene „Mitmach“-Sendung Parlazzo an, die von der berühmten Carmen Thomas (Schalke 05, Urin) moderiert wurde. Es sollte in der Live-Sendung mit Publikum vor allem um Medienthemen gehen, denn die Medienbranche hatte sich so sehr in Bewegung gesetzt und die Entwicklungen waren so rasant und interessant, dass es sich lohnte, darüber eine eigene Sendung zu machen.

Ich nahm das Angebot natürlich an und als ich eintraf, hatte sich schon eine wichtige Personalie geändert: statt Carmen Thomas moderierte jetzt Bettina Böttinger, ein aufstrebender Stern im WDR-Himmel, der später unerwünschte, bundesweite Berühmtheit durch Harald Schmidt bekam, der sie in seiner Late Night Show im Stile Lettermans als Lesbe geoutet hatte.

Ich fühlte mich zu Beginn des Praktikums wie auf einem anderen Stern und eingeschüchtert von all diesen Neuartigkeiten, die mir begegneten. Fernsehen ist eine hochentwickelte Technik und ich wurde zum ersten Mal hinter den Kulissen damit konfrontiert. Hinzu kommt, dass ich nicht sonderlich technikaffin bin, sie zwar gerne nutze, aber mich ungern zu sehr in sie vertiefe. Und mich mit einem Mal in einem Ambiente wiederzufinden, das sehr viel auf Außenwirkung setzt, war für mich auch neu.

Ich arrangierte mich trotzdem schnell mit den neuen Gegebenheiten, der leitenden Redakteurin und den zahlreichen freien Autoren. Ich konnte mich nützlich machen und bekam unmittelbar das Angebot, nach dem Praktikum als Freier Mitarbeiter an Bord zu bleiben. Sie konnten einen guten und gründlichen Rechercheur gebrauchen und diese Tätigkeit war problemlos in meinen Studentenalltag integrierbar. Die Bezahlung war auch super.

Es begann eine Zeit, die ich als die Goldgräberzeit meines Lebens bezeichnen würde. Während viele meiner Kommilitonen aus den Geisteswissenschaften nicht so recht wussten, wohin ihre Reise am Ende führen würde, war mein Übergang vom Studienabschluss zur Berufstätigkeit nahtlos. Ich stieg neben der Funktion des Chef- Rechercheurs zum Scriptautor der Sendung auf, verfasste auf Basis meiner Recherchen im hervorragend ausgestatteten WDR-Archiv eine Zusammenfassung („Briefing“) der Fakten und Positionen und Biografien, die der jeweiligen Moderatorin als Grundlage für die Sendung dienten. Bettina Böttinger wurde von Friedrich Küppersbuschs Partnerin Sabine Brandi abgelöst („Ein schönes Leben noch“) und diese wiederum von einer attraktiven Jungmoderatorin aus Berlin namens Anne Will, die zu dieser Zeit kaum jemand kannte.

Es gehörte auch ein Moderationsvorschlag dazu, wie die jeweiligen Interviews am besten geführt werden sollten, um die gewünschten Statements abzurufen und der Show-Dramaturgie zu folgen. Zu Gast war das Who’s Who des deutschen Fernsehens, Schauspieler, Musiker, Politiker, Intendanten, Senderchefs, Künstler, Filmemacher.

Nach der Sendung waren alle Mitarbeiter und Gäste in ein studionahes Lokal eingeladen, wo wir soviel essen und trinken konnten, wie wir wollten. Die Atmosphäre war so offen, dass ich gelegentlich sogar meine Mutter oder Freunde mitnahm. Diese After-Show-Parties waren natürlich genial. Man traf alle möglichen bekannten und berühmten Personen in einem privaten Ambiente, locker, gelöst, unbeobachtet und es gab hochinteressante Gespräche, „off-the-record“, sozusagen. Das Gesagte blieb unter uns und war nicht zur Veröffentlichung gedacht. Und natürlich war es für uns alle, männlich wie weiblich, aufregend, einige Idole aus nächster Nähe zu erleben und mit ihnen zu flirten…

Es war eine sehr aufregende und zugleich extrem entspannte Zeit, weil ich nicht allzu viel arbeiten musste, um genug Geld zu verdienen, und einer Tätigkeit nachging, die einfach nur Spaß machte. Was konnte es besseres geben?

Doch der rasante Medienwandel war am Horizont schon zu erkennen. Das Internet erleichterte die Arbeit zwar enorm, doch es veränderte auch die über Jahrzehnte gewachsene Statik des Mediensystems.

War der Journalist zu jener Zeit der King of the World, der Gatekeeper, der Absahner, der Profiteur, spülte ihn das Internet immer mehr in den Hintergrund.

Was ist eine abhängig beschäftigte Edelfeder bei einer Qualitätszeitung im Vergleich zu einem erfolgreichen YouTuber?

Im Zweifelsfalle nichts. Weil seine Meinung nun nur noch eine unter Millionen ist. Und da die Medienbranche seit dem Privatfernsehen zur Quotennutte verkommen ist und Relevanz nur noch an (Klick-, Follower-, etc.-) Zahlen festmacht wird, ist das die logische Konsequenz.

Die werbetreibende Industrie will Zielgruppen erreichen, und die erreicht sie am besten im diversifizierten Internet mit seiner Rundumbewachung der User. Nicht einmal Fernsehen hat heute mehr die Relevanz, die es noch in den Jahren 2000 – 2010 hatte.

Zeitung, Radio, Fernsehen sind nur noch eine Quelle unter vielen, ihre Macher daher auch nur noch irgendwelche Leute unter Vielen.

Die junge Generation steht nicht auf TV-Nasen, sondern auf Musiker oder YouTube-Stars. Der Fokus hat sich völlig verlagert.

Wer damals zum Fernsehen ging, weil er sich selbst so schön und toll fand und berühmt und reich werden wollte, der wählt heute wohl eher den Weg über’s Internet, YouTube, Instagram, Twitter.

Es braucht keine klassischen Medien mehr, um sich und seine Botschaft unter’s Volk zu bringen. Und das ist an und für sich eine tolle Sache. Eine totale Demokratisierung der öffentlichen Meinung. Wenngleich die klassischen Medien immer noch als Verstärker und Filter taugen, vor allem das Fernsehen.

Die klassischen Journalisten, die noch immer bei den sogenannten „etablierten“ Massenmedien arbeiten, müssen natürlich akzeptieren und einsehen, dass sie von ihrem hohen Sockel heruntergekommen sind. Er ist längst eingestürzt. Jetzt ist Nahkampf angesagt, Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Jemand ist nicht deswegen relevant, weil er für oder in einem etablierten Medium publiziert. Das Medium ist nur ein Verstärker, das die eigene Bedeutung ohne eigenes Zutun automatisch auf ein höheres Level hebt.

Und jemandem den Titel Journalist zu verweigern, nur weil er nicht für ein etabliertes Medium arbeitet, ist ebenfalls Bullshit.

Im Gegenteil. Angesichts dessen, dass angestellte Redakteure und Medienschaffende abhängig sind und dementsprechend das produzieren, was der Auftraggeber verlangt, sind sie sogar weniger glaubwürdig als jemand, der ohne primär finanzielle Interessen über die Dinge publiziert, über die er tatsächlich Bescheid weiß.

Ich zum Beispiel bin und bleibe Journalist, egal für wen oder wo und wann ich publiziere. Mein Know-How und meinen Insider-Blick kann mir keiner nehmen, denn er ist real erlebt und erfahren.

Im Unterschied zu etablierten Medienmachern steuere ICH MICH ganz allein.

Ich bin über das Stadium hinaus, als Zeilensklave das abzuliefern, was irgendwelche anderen Leute von mir wollen.

Ich publiziere WAS, WANN, WIE und WO ICH WILL. Und nur über die Dinge, die mich beschäftigen und interessieren und in denen ich mich auskenne.

Das macht meine Unabhängigkeit und meine Glaubwürdigkeit aus.

Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen, außer auf mich selbst.

Und da bin ich am liebsten rücksichtslos ehrlich. Schon immer gewesen. Ohne Angst vor Verlusten.

Bekommt mir und meiner Umwelt am Ende nämlich einfach besser.

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