Das RTL-Dschungelcamp: Der Kampf um die Rest-Würde


Martin „das Faultier“ Kesici will seine Freiheit zurück und steigt freiwillig aus. Daniel „Day-Low“ Lopes muss gehen, weil er nicht genügend Telefon-Votes bekam. Ramona „die Zicke“ Leiß führt sich wie ein Blockwart auf und Ex-Hollywood-Star Brigitte Nielsen zeigt Größe – das Dschungelcamp beginnt nach einer Woche Dahingeplätscher spannender zu werden.

Ich gebe zu, ich gucke diesen „Scheiß“, diesen „Schwachsinn“, wie manche sagen. Weil es so schwachsinnig gar nicht ist. Klar, dem Leben fehlt nichts, wenn man sich die Sendung nicht anschaut. Aber als Unterhaltungsformat ist es professionell und aufwendig gemacht und verdient allein dafür Anerkennung.

Ich hatte schon die letzte Staffel mit wachsender Faszination verfolgt, weil diese Real-Doku-Soap mit abgehalfterten Möchtegernstars viel Drama, Spannung und Unterhaltung bot. Man könnte wie bei Big Brother irgendwelche noch unbekannteren Menschen zusammen ins Camp schicken, um der sich entfaltenden Gruppendynamik ihren Lauf zu lassen. Aber dadurch, dass die Dschungelbewohner zumindest eine gewisse Prominenz mitbringen und das Camp mit all seinen Erniedrigungen als letzte Chance auf ein Comeback sehen, entsteht ein besonderer Druck auf die Kandidaten und eine gewisse Fallhöhe, welche ein Scheitern und Versagen noch schmerzhafter macht. Ausserdem ironisiert sich das Format selbst als Resteverwerter des Medienzirkus‘ und schafft damit eine Meta-Ebene, die auch für Medienkritiker und anspruchsvollere Zuschauer interessante Ansatzpunkte liefert.

Ich sehe „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ als spannende Versuchsanordnung, die Erkenntnisse über die psychologischen Gesetze der Gruppendynamik liefert sowie Einblicke in die Abgründe unserer absurden Medienwelt.

Bei der letzten Staffel bekam die Handlung schnell ihr Momentum in Gestalt von Sarah „Dingens“ Knappik, die mit widersprüchlichen Begründungen vor den zahlreichen Dschungelprüfungen kniff und sich somit den blanken Hass der Mitbewohner und Zuschauer zuzog. Letztere hatten ihr „Opfer“ gefunden und wählten sie immer wieder in die Prüfung. Der Höhepunkt des Dramas wurde erreicht, als eben jene Sarah „Dingens“ den Dschungel-Adonis Jay Khan als Falschspieler anprangerte. Er habe sie vor Beginn der Staffel zu einem Deal überreden wollen, wonach sie eine Liebesaffäre mit ihm inszenieren sollte, um für Gesprächsstoff und Schlagzeilen zu sorgen. Das spaltete die Camp-Bewohner in Gut und Böse und nur Peer Kusmagk hatte die Courage, sich gegen den Mainstream auf die Seite der Aussenseiterin zu schlagen. Das Publikum würdigte seine Charakterstärke und wählte ihn zum Dschungelkönig. Grandios.

Die jetzige Staffel „krankte“ zunächst daran, dass das Publikum kein „Opfer“ ausmachen konnte. Eigentlich war wohl Nacktmodell Micaela Schäfer dazu auserkoren und wurde vom Publikum gleich in die erste Dschungelprüfung geschickt, wo sie ein paar eklige Dinge essen/trinken und über sich ergehen lassen musste. Doch das schlichte und einfältige Mädchen, das ihren gepimpten Körper gern zur Schau trägt, schlug sich überraschend wacker und tapfer. Auch sonst erfüllt sie nur bedingt die von den Machern vermutlich in sie gesetzten Erwartungen für das eine oder andere „Schäfer“-Stündchen im Camp. Klar, sie läuft mehr nackt als angezogen durch’s Camp. Aber das tut sie so penetrant und ausgiebig, dass der Erotik-Faktor gleich Null ist.

Einzig „das Ailton„, brasilianischer Fussballer im Endstadium der einst glorreichen Karriere, scheint für diese platten weiblichen Reize noch empfänglich zu sein. Aber zu Hause in Mexico wartet ja die eifersüchtige Ehefrau, da wird er sich hüten. Ansonsten fällt der einstige Kugelblitz, der heute mehr Kugel als Blitz ist, vor allem durch sein gebrochenes Deutsch auf. Ailton war jahrelang in Deutschland als Fussballer unter Vertrag. Erschreckend, wie wenig Deutsch er dabei gelernt hat. Seine Aussagen sind so unverständlich und konfus, dass selbst Untertitel nicht wirklich weiterhelfen würden.

Weil das Publikum kein Opfer fand, mussten im Verlauf der ersten Woche fast alle mal zur Prüfung antreten. Ramona Leiß hatte einmal „Rücken“ und konnte nicht gewählt werden. Prompt wurde sie auserkoren, als sie am nächsten Tag wieder fit war. Aber selbst sie gab sich dabei keine Blöße.

Sie ist die Einzige, die mit ihrer Blockwart-Mentalität und Weinerlichkeit im Camp für Zündstoff sorgt. Potential in dieser Richtung hat noch Ex-Tic Tac Toe-Star Jazzy. Ansonsten ist alles Friede, Freude, Eierkuchen.

Zwischen dem sympathischen, verstoßenen Ochsenknecht-Sohn Rocco Stark und Ex-DSDS-Kandidatin Kim „Gloss“ Debkowski bahnt sich eine echte Romanze an.

Radost „Rehauge“ „Momo“ Bokel hält sich unscheinbar und wohltuend im Hintergrund. So blieb sie zwar bisher von schwereren Prüfungen verschont, aber damit droht sie auch mangels Unterstützer-Anrufen schnell rauszufliegen.

Magier Vincent Raven wollte schon die Brocken hinschmeissen. Er sah seine „Seele beschmutzt“, als er mit Rocco über einem stinkenden Tümpel am Seil hängend einen Kampf austragen musste, wer sich wohl am längsten oben halten würde. Der Kettenraucher, der sonst vier bis fünf Päckchen pro Tag schmaucht und nun mit fünf Zigaretten am Tag haushalten muss, war völlig außer sich ob dieser Erniedrigung. Er hat kein Problem damit, ekliges Zeug zu sich zu nehmen. Aber das Duell gegen Rocco zu verlieren und in einen stinkenden Tümpel zu fallen, war zunächst zuviel für ihn. Er beruhigte sich dann aber wieder.

Dieser Wutausbruch und Martin Kesicis freiwilliger Abgang zeigen, dass die „Stars“ einen Rest Würde in diesem würdelosen Spiel aufrecht erhalten wollen. Und das scheint ihnen durchaus zu gelingen.

Die größte Fallhöhe hat Brigitte Nielsen dabei zu fürchten, die als einzige internationale Bekanntheit vorweisen kann. Doch sie bestand die Dschungelprüfung äußerst souverän.

Auch wenn Dirk Bach und Sonja Zietlow den Rocker und einstigen Gewinner einer Sat1-Castingshow  als Vier-Finger-Faultier verspotteten, das nur als Ins-Camp-Pinkler, Pupser und Popler in Erscheinung getreten sei: Mit seiner bestandenen Dschungelprüfung und dem Schrei nach Freiheit hat sich Martin Kesici zumindest bei seinen Rocker-Fans sicher Respekt verschafft.

Alle Dschungelbewohner scheinen den wichtigsten Rat beherzigt zu haben: Sei authentisch, verstell dich nicht, stehe zu deinen Fehlern, spiele keine Rolle. Denn angesichts der belastenden und entwürdigenden Umstände kann es niemandem gelingen, eine Maske aufrecht zu behalten. Früher oder später bröckelt die Fassade.

Das gilt im Dschungel genauso wie auch sonst im Leben.

Da können Bach und Zietlow noch so lästern: Am Ende werden es womöglich alle Kandidaten schaffen, unbeschädigt aus dem Camp herauszukommen. Bis auf Ramona vielleicht. Aber ihr Verhalten ist wohl mit beginnendem Altersstarrsinn zu entschuldigen.

Und für Micaela gilt buchstäblich der Satz: Ist der Ruf eh ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

Das RTL-Dschungelcamp: Der Kampf um die Rest-Würde

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