Brasiliens Ex-Präsident Lula in Berlin


Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erfreut sich nicht nur in seinem Heimatland nach wie vor großer Beliebtheit. Auch international wird er mitunter gefeiert wie ein Pop-Star. Was seine Faszination ausmacht, davon konnte sich ein jeder selbst ein Bild machen, der einer öffentlichen Podiumsdiskussion der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin beiwohnte. Der Konferenzsaal war gerappelt voll.

Lula in Berlin auf Podium
Lula (mi.) mit Frank-Walter Steinmeier (re.)

Unter dem Thema Auf dem Weg zur Weltmacht: Brasiliens Rolle in der neuen globalen Ordnung diskutierte der 67-jährige Ex-Präsident mit SPD-Fraktionschef und Ex-Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vornehmlich über den UN-Sicherheitsrat, Außenpolitik und die Krise in Europa.

Steinmeier gab sich bescheiden und versprach gleich in seinem ersten Wortbeitrag, sich kurz zu fassen, „weil ich natürlich realistisch genug bin, um zu wissen, dass Sie nicht wegen mir hier sind, sondern wegen Präsident Lula“.

„Sie müssen ihn einfach sprechen hören“, ergänzte Steinmeier, „um zu verstehen, was das Faszinierende an ihm ist.“

In der Tat. Der Mann, der vom Schuhputzer ohne abgeschlossene Schulbildung zum mächtigsten Mann Brasiliens aufstieg, hat nicht verlernt, wie „der einfache Mann von der Straße“ zu reden und zu denken, und das höchst unterhaltsam. Bei aller Popularität gibt er sich dennoch bescheiden.

So relativiert Lula gleich zu Beginn die vielen Lobeshymnen, die auf ihn angestimmt werden.

Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Menschen nicht alles glauben, was ihnen über die Leute (resp. mich) erzählt wird. Denn viele Elogen lassen nur die Irrtümer wachsen. Die Leute könnten am Ende glauben, dass jener Mensch viel mehr getan hat als er wirklich getan hat.

Politik ist für Lula nicht die Kunst des Minimalkonsenses in einer komplexen und komplizierten Welt voller Rücksichtnahmen, Interessen und Abhängigkeiten.

„Die Kunst zu regieren ist, das Offensichtliche zu tun“, erklärt Lula. „Das zu tun, von dem jeder weiß, dass es getan werden muss. Das zu tun, wofür Du gewählt worden bist. Du musst nur Deine Versprechen erfüllen. Und versprich nicht zu viel während des Wahlkampfes. Verspreche nur, was Du auch erfüllen kannst.“

Das größte Vermächtnis seiner achtjährigen Amtszeit sei nicht, 28 Millionen Menschen aus der Armut befreit, 40 Millionen in den Mittelstand verholfen, 14 neue staatliche Universitäten und soundsoviele neue Schulen eröffnet zu haben.

Mein größtes Vermächtnis war die Beziehung zwischen der Regierung und der Gesellschaft, zwischen der Regierung und der sozialen Bewegung. Es gibt nicht einen Moment in der Geschichte Brasiliens, in welchem die soziale Bewegung derart an den Entscheidungsprozessen der Politik teilgenommen hat wie in meiner Regierungszeit.

Auch außenpolitisch hat Lula Akzente gesetzt und Brasilien gewissermaßen aus der selbst gewählten Isolation befreit. Denn statt – wie die südamerikanischen Nachbarländer auch – ständig auf die USA und Europa zu schielen und nur danach zu trachten, der bessere Freund der Mächtigen zu sein, schildert Lula, wie er angefangen habe, die Nachbarländer, den Mittleren Osten und Afrika zu bereisen und eine eigenständige Diplomatie zu verfolgen.

Es sei bis heute Brasiliens oberste außenpolitische Priorität, endlich Ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden. Ein allerdings bisher vergebliches Bemühen, das Brasilien und Deutschland eint. Steinmeier und Lula sind sich einig, dass der UN-Sicherheitsrat eine Nachkriegsordnung widerspiegelt, welche den heutigen globalen Kräfteverhältnissen nicht mehr gerecht wird.

Ginge es nach Lula, hätten Brasilien, Deutschland, Japan, Indien, Südafrika, Nigeria, Ägypten, Argentinien und Mexiko gleichermaßen Anspruch auf einen ständigen Sitz im obersten politischen Entscheidungsgremium der Welt.

Steinmeier lobt den Ansatz, mit dem Lula damals Außenpolitik gemacht hat. Während die herrschenden Mächte damals in einem Schwarz-Weiß-Denken verhaftet gewesen seien und es sich bequem gemacht hätten in ihrer Weltordnung, sei Lula mit einem Gegenkonzept gekommen: Der Einbindung – auch schwieriger Partner.

Lula schildert wortreich und amüsant, wie er sich 2010 nach Teheran aufmachte, um Irans Präsident Ahmadinedschad im Atomstreit endlich Zugeständnisse abzutrotzen, während alle Welt und ihre Führer ihm davon abrieten.

Ich war überzeugt, dass es mir gelingen würde, den Iran davon zu überzeugen, das Dokument zu unterzeichnen, das die Atomenergiebehörde verlangte.(…) Ich fragte Obama: Hast Du schon mit Ahmadinedschad gesprochen? Nein. Sarkozy, hast Du schon mit ihm gesprochen? Nein. Angela Merkel, hast Du schon mit Ahmadinedschad gesprochen? Nein. (…) Schaut: Wenn noch niemand mit diesem Kerl gesprochen hat, was zum Teufel ist das für eine Politik?

Lula ging also hin und schilderte Ahmadinedschad wortreich, wie seine Freunde mit ihm schimpften und die brasilianische Presse ihn seit einer Woche verprügele, weil er mit ihm sprechen wollte. „Ich gehe hier nicht raus ohne eine Vereinbarung!“ habe er zu Irans Präsidenten gesagt. Daraufhin habe sich Ahmadinedschad zu Zugeständnissen bereit erklärt. Doch Lula ließ nicht locker. Er brauche das schriftlich, habe er ihm gesagt. Denn seine Freunde da draußen dächten, Ahmadinedschad stehe nicht zu seinen Worten, er sei ein Lügner. „Ich gehe nur mit unterschriebenem Dokument hier raus“, forderte Lula. Und Ahmadinedschad unterschrieb.

So einfach ist also Politik, wenn es nach Lula geht: Hingehen, miteinander sprechen, und zwar nicht um den heißen Brei herum, sondern klar und geradeaus.

„Es gibt Leute“, so Lulas Fazit, „die brauchen offenbar die Zwietracht, um sich selbst wichtig zu fühlen. Denn sonst gibt es keine Erklärung dafür, wieso die Menschen keinen Frieden haben.“

Bei Steinmeier klingt Politik komplizierter, staatstragender. Der ehemalige Außenminister der Bundesrepublik Deutschland schildert, wie er mit dem Iran jahrelang verhandelt, wie viel er sich über iranische Kultur und Geschichte angeeignet und nächtelang Vorlesungen darüber angehört habe. „Mal schien es auch so, daß wir kurz vor der Verständigung waren, und dann ging das Zeitfenster wieder zu.“

Lula hat offenbar wenig Sinn für diese Art von Kärrnerarbeit. Das veranschaulicht er am Beispiel der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen.

Sein Land sei damals mit der Überzeugung nach Dänemark gereist, dass die dort versammelten Nationen ernsthaft an der Reduktion der Treibhausgase interessiert gewesen seien. Brasilien habe daher schon im Vorfeld Gesetze erlassen, welche den CO2-Ausstoß begrenzten und die Abholzung des Regenwaldes einschränkten. Als er dann jedoch in Kopenhagen eintraf, habe er erfahren, dass die reichen Länder einen Grünen Fonds planten, mit dem den ärmeren Ländern geholfen werden sollte, ihre natürlichen Ressourcen zu schützen. Außerdem habe es seitens der entwickelten Länder Versuche gegeben, China die Verantwortung für die Umweltverschmutzung zuzuschieben und die eigene zu vernachlässigen. Am Ende hätten die Präsidenten aller Länder um 3 Uhr nachts zusammengesessen, um über einzelne Kommata zu streiten. Da sei ihm der Kragen geplatzt und er habe die Konferenz verlassen.

Für ihn stehe in Klimafragen daher fest: „Solange nicht jedes Land seine eigene Verantwortung wahrnimmt, kommen wir zu keiner Einigung.“

Immer wieder kommt Lula auch auf die Krise in Europa zu sprechen. Er macht deutlich, dass er Europa als große Errungenschaft sieht. Er bezeichnet es gar als ein Weltkulturerbe, das es zu erhalten gelte. Europa müsse die Krise als Chance begreifen, so wie der Fall der Mauer eine Chance gewesen sei. Eine Chance, neue Wege zu beschreiten, neues Denken zuzulassen, neue Ansätze zu diskutieren.

Klar seien viele Fehler gemacht worden. Lula vergleicht die Aufnahme schwächerer Länder in die Union mit der Einladung zu einer Feier. Portugal habe Straßen gebaut, die es nicht brauchte, Spanien Schienennetze, wo gar keine Züge verkehrten.

Dennoch sei es falsch, irgendein Land zum Sündenbock zu machen, schon gar nicht Griechenland, das ökonomisch in Europa keine große Bedeutung habe. Leider sei aber aus einer Erkältung in Griechenland eine Lungenentzündung geworden, die nur zu bezwingen sei, wenn sich die reichen Länder solidarisch zeigten.

Lula äußert seine Sorge, dass die Verzweiflung vieler junger Europäer in den Krisenländern in einen „arabischen Frühling“ münden könnten.

„Ich habe aber nicht den geringsten Zweifel, dass ein Volk wie das deutsche (…) nicht nachlassen wird, einen Ausweg aus dieser europäischen Krise zu finden. Denn die Krise in Europa ist nicht nur auf Europa beschränkt, sondern betrifft die ganze Welt.“

„Ich als katholischer Brasilianer stehe also am Rande und bete zu Gott, dass eure (deutsche) Intelligenz ein weiteres Mal funktionieren möge.“

Mit großem Applaus bedankt sich das Publikum bei dem begnadeten Menschenfischer, der Politik so anschaulich und verständlich vermittelt, als würde er sie einem Kind oder seiner Oma erklären.

Leider gab es für das anwesende Publikum keine Gelegenheit, selbst Fragen zu stellen. Und der moderierende Journalist Burkhard Birke stellte keine kritischen Fragen, die zu nachrichtenrelevanten Antworten hätten führen können.

Immerhin sind erst kürzlich in Brasilien einige von Lulas engsten Mitarbeitern vom Höchsten Gericht verurteilt worden, weil sie ein System zum Stimmenkauf betrieben hatten. Der als mensalão bekannte Korruptionsskandal hat bisher zwar keine Verstrickungen von Lula selbst zu Tage gefördert. Dennoch wirft er die Frage auf, ob sich Lulas undurchsichtige Ambitionen auf eine neue Kandidatur für die Wahlen 2014 damit nicht verschlechtert haben.

Ob er solche Ambitionen überhaupt noch hegt, hätte man zum guten Schluss wenigstens mal fragen können.

So bot die Podiumsdiskussion für Lula eine perfekte Bühne, um sich bestens präsentieren zu können: Als Mann des Volkes. Populär, charismatisch, gerecht, sozial, unterhaltsam, erfolgreich, überzeugend.

Und hier ist mein Video-Zusammenschnitt von Lulas Auftritt (Original ohne Untertitel):

Brasiliens Ex-Präsident Lula in Berlin

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Chemotherapie schlägt bei Brasiliens Ex-Präsident Lula gut an

10 Gedanken zu „Brasiliens Ex-Präsident Lula in Berlin“

  1. Ich bin erschrocken! Ein Mann, der mit seiner Partei PT in den brasilianischen Medien z. Z. als der grösste Bandit angesehen wird, der mit seinen Mafia-Methoden (inklusiv Mord!) das Land kaputt gemacht hat, den jeder Brasilianer gern hintern Gitter sehen würde, wird als Ehren-Gast ins demokratische Deutschland von SPD eingeladen? Ich dachte, nur Die Grünen kommen auf solche Schnapsideen.

    Minister Gilmar Mendes sagt über die (PT): die neue Staatsform in Brasilien: KLEPTOKRATIE. Die Partei hat 1/3 von Petrobrás Einahmen GEKLAUT damit sie bis 2038 in der Regierung bleiben kann.
    http://politica.estadao.com.br/blogs/fausto-macedo/gilmar-mendes-acusa-pt-de-cleptocracia/

    Sie wollen Brasilien in ein zweites Venezuela verwalndeln, sie wollen den Kommunismus in ganz Südamerika instalieren und die SPD lädt diesen TYP als Ehrengast ein. Ein schlag ins Gesicht alle demokratische Brasilianer!!! .

    Lulas Partei, PT, ist schon in das Wort KorruPTion enthalten. Zufall?

  2. Bei einem Besuch in Paris hat Dilma erklärt, keine Korruption zu tolerieren. Zugleich lobte sie Lula dafür, mit dem Kampf gegen die Korruption angefangen zu haben. Einen unmissverständlichen Persilschein stellte sie ihrem Vorgänger aber nicht aus. Sowohl Dilma wie Lula, der sich zeitgleich in Paris befand, ließen offen, ob sie 2014 für das Amt des Präsidenten kandidieren werden.

    http://www.estadao.com.br/noticias/impresso,eu-nao-tolero-corrupcao-afirma-dilma-,973369,0.htm

  3. Ausgerechnet Lula. Einen besseren Selbstdarsteller konnten die Deutschen Gewerkschaften wohl kaum finden. Dessen Regierungsbilanz sieht nämlich in Wahrheit nach 8 Jahren alles andere als rosig aus. Einige Beispiele: Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf, Zunahme der Kriminalität in astronomische Formen, 8 Jahre quasi keinerlei Investionen in Infrastruktur oder Urbanisierung, seine eigene Partei versinkt in Korruption und strebt (so geschehen am 07.12.2012 noch) wieder einmal nach Einführung der Pressezensur, ein desaströses Gesundheitswesen, brachliegendes Bildungssystem ( noch nicht einmal ein Ansatz zur Besserung erkennbar), Versprechungen über Versprechungen (die Welt wird die tollste WM erleben die es je gegeben hat- bis heute sind die Stadien nur Baustellen), Herumfummeln an der Atombombe etc etc. Und das soll ein Vorbild sein? Na dann gute Nacht.

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