Brasilien 2018 – Zwischen Pest und Cholera

Das war knapp. Der rechtsradikale Präsidentschaftskandidat Jair „Messias“ Bolsonaro hat im ersten Wahlgang 46 Prozent aller Stimmen auf sich vereinen können und entging damit nur knapp einem Erdrutschsieg im ersten Wahlgang. Nun gibt es ein Stechen mit Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT, der als Zweitplatzierter gerade mal auf gut 29 Prozent der Stimmen kam. Brasilien ist gespalten wie nie und hat nun die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Die Gesellschaft ist polarisiert wie lange nicht, denn für Anhänger des ehemaligen Präsidenten Lula, der wegen Korruption im Gefängnis sitzt, daher nicht zur Wahl antreten durfte und daraufhin seinen Vize Haddad zum Spitzenkandidaten erkor, ist es ausgeschlossen, einem Rechtsradikalen wie Bolsonaro ihre Stimme zu geben. Und die Anhänger des  „Trump der Tropen“ vereint vor allem ihr Hass auf alles, was nur irgendwie nach Sozialismus oder Kommunismus riecht.

Der Wahlkampf war entsprechend polarisiert, hat bereits Freundschaften gekostet und den Frieden in vielen Familien zerstört. Dank der Umfragen spitzte sich die öffentliche Debatte schnell auf Bolsonaro oder Haddad zu. Entweder – Oder. Tod oder Teufel. „Nationalismus“ oder „Sozialismus“.

Vor allem im Endspurt zum Urnengang, den letzten zwei, drei Tagen, war in den sozialen Netzwerken und auch im Alltag ein klares Momentum für Bolsonaro zu erkennen. Ich kenne selbst viele Leute in meiner Nachbarschaft und meinem Umfeld, die sich klar zu Bolsonaro bekennen. So sehr ich die eine oder andere Person persönlich mag, so ist jede sachliche Debatte und Auseinandersetzung anhand von Fakten und historischen Erfahrungen fruchtlos. Je mehr die andere Seite mit der Kampagne #EleNão“ (Er Nicht) auf Bolsonaro eindrosch, desto sturer und uneinsichtiger wurde die Gegenseite, nach dem Motto: Jetzt erst recht!

Polarisierung pur.

Bolsonaros rechtsradikale Gesinnung ist vielfältig belegt. Er ist ein lupenreiner Rassist, homophob, frauenverachtend, rücksichtslos, nationalistisch. Doch nicht alle, die ihn gewählt haben, denken in allem so wie er.

Das Hauptmotiv vieler seiner Wähler ist die Abscheu gegenüber einem verrotteten, korrupten politischen System, das die Sorgen und Nöte der Bevölkerung vernachlässigt und nicht einmal für die Sicherheit auf den Straßen und in den Städten sorgt. Kriminalität und Korruption: das sind die beiden Themen, welche die Brasilianer laut Umfragen und meiner eigenen Erfahrung umtreiben. Und ein erheblicher Teil der Bevölkerung hat nicht mehr das geringste Vertrauen in die bisherigen Politdarsteller.

Haddad steht für dieses korrupte System, wenngleich er persönlich nach bisherigem Stand der Dinge nicht involviert ist. Seine Partei hat von 2003 bis Ende 2011 mit Luiz Inácio Lula da Silva zwar einen außerordentlich beliebten und erfolgreichen Präsidenten gestellt, hat den ökonomischen und gesellschaftlichen Niedergang in der Amtszeit von Präsidentin Dilma (2011 – August 2016), ebenfalls PT, aber massiv beschleunigt. Inmitten des Lava Jato-Skandals, der ein unfassbar großes Korruptionssystem zwischen Politik und Wirtschaft offenlegte und reihenweise namhafte Politiker und Industrielle ins Gefängnis wandern ließ, wurde Dilma ihres Amtes enthoben. Nicht etwa, weil ihr eine Verwicklung nachgewiesen werden konnte, sondern weil ihre verwickelten Koalitionspartner sich vor weiteren Ermittlungen gegen sich selbst schützen wollten. Es war eine Art Putsch der politischen Elite.

Tatsache ist, dass Brasilien in der tiefsten ökonomischen Krise seit 100 Jahren steckt und die Arbeiterpartei PT ein großes Stück Verantwortung dafür trägt.

Ein großes Reizwort in diesem Zusammenhang ist Venezuela. Neben Korruption und Kriminalität ängstigt die Brasilianer nichts mehr, als einen ebensolchen wirtschaftlichen Niedergang zu erleben wie das Nachbarland. Dass die PT seit jeher Freundschaften zu sogenannten Sozialisten wie Hugo Chavez, Maduro oder Castro pflegte und pflegt, ist für viele Brasilianer ein sehr rotes Tuch. Der Hass auf alles, was nur irgendwie nach Sozialismus riecht, ist daher so verbreitet.

Nun hatten die Brasilianer die Wahl zwischen insgesamt 13 (!) Präsidentschaftskandidaten, darunter auch gemäßigte wie die Umweltaktivistin Marina Silva oder Ciro Gomes, ehemaliger Gouverneur von Ceará und Minister zweier Regierungen.

Doch in dieser polarisierten Stimmungslage ging es nur noch um Lula (und Konsorten) oder Bolsonaro. Links oder Rechts.

Das Volk lechzt nach einem „Messias“, der sie aus der Patsche holt, und glaubt, ihn in Bolsonaro gefunden zu haben. Der ist zwar auch schon seit Langem als Abgeordneter in der Bundespolitik, führte dort aber nur ein Schattendasein. Von ihm glauben die Leute, dass er daher nicht Teil des korrupten Systems ist und dass er dank seiner früheren militärischen Laufbahn wieder für Sicherheit im Land sorgen wird.

Vermutlich liegen sie damit nicht einmal falsch.  Wäre er in seinen moralischen Ansichten nicht so anti-liberal (er ist u.a. ein offener Befürworter der Folter und Todesstrafe…), wäre die Sache nur halb so schlimm.

Daher blenden viele seiner Anhänger eben diese Seite von ihm aus.

Brasilianer sind in Vielem extrem irrational, instinktgetrieben. Gleichzeitig sind sie extrem kommunikativ. Es dürfte kaum ein Volk auf dieser Welt geben, das die sozialen Netzwerke so intensiv nutzt wie die Brasilianer, vor allem Facebook, WhatsApp und Instagram. Und sie sind bei ihrer Nutzung völlig affektgetrieben. Jeder Unsinn und Blödsinn wird ohne weiteres Nachdenken geteilt und gelikt. Das ist oft sehr lustig, aber oft auch extrem dumm und unreflektiert. Quellen prüfen? Informationen verifizieren? Fehlanzeige. Und das Vertrauen in die tendenziösen TV-Sender und Massenmedien ist auch gering.

Brasilianer suchen ihre Orientierung in der Kirche. Und auch wenn Brasilien bis heute als das katholischste Land der Welt gilt: die Deutungshoheit liegt längst bei den evangelikalen Pfingstkirchen, die ein reaktionäres Weltbild propagieren, in dem es keinen Platz für Homos, Abtreibung und kulturelle Vielfalt gibt. Diese „Kirchen“ haben sich klar zu Bolsonaro bekannt.

Brasilien befindet sich also mitten in einem grundsätzlichen Kulturkampf. Und weil breite Teile der Bevölkerung zu Differenzierung und sachlicher Auseinandersetzung nicht fähig sind, befindet sie sich nun in diesem Dilemma.

Die Rücksichtslosigkeit und Radikalität der Bolsonaro-Seite lässt nichts Gutes erahnen. Die kommenden drei Wochen bis zur Stichwahl am 28. Oktober werden zu einer weiteren Polarisierung der Bevölkerung führen. Und es ist zu befürchten, dass ein wahrscheinlicher Sieg Bolsonaros zu einer Art Pogromstimmung führen könnte, in der alle, die gegen ihn waren, zur Verfolgung und Unterdrückung freigegeben werden. Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Demokratie stehen in der gerade mal gut 30 Jahre jungen Demokratie auf dem Spiel.

Und Haddad scheint am wenigsten geeignet, den Frieden wieder herzustellen  und die Bevölkerung zu vereinen.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet.

3 Gedanken zu „Brasilien 2018 – Zwischen Pest und Cholera“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.